Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Theodor Lindner

Theodor Lindner

geboren: 29. Mai 1843 Breslau
gestorben: 24. November 1919 Halle
Konfession: evangelisch
Vater: Strumpffabrikant

Theodor Lindner

Da Lindner seinen Vater 1858 verlor, wechselte der Schüler vom Breslauer Magdalenengymnasium auf das Pädagoguim in Züllichau im Südosten Brandenburgs, wo sein älterer Bruder als Lehrer tätig war. Das Abitur bestand er 1861 und entschied sich für den Lehrerberuf. An der Universität Breslau studierte er Geschichte, alte Philologie und Sanskrit, zugleich war er Hilfsbibliothekar in der Stadtbibliothek. 1894 wechselte er an die Universität Berlin, wo er Germanisik und Geschichte hörte, unter anderem bei Johann Gustaf Droysen und Leopold Ranke, der sein Doktorvater wurde. Die Dissertation war dem Konzil von Mantua 1064 gewidmet. Die Arbeit war in Latein abgefasst, Lindner plädierte in den zusammenfassenden Thesen für die künftige Abfassungen von Doktorarbeiten in deutscher Sprache. Nach bestandenem Staatsexamen war er als Hilfslehrer tätig. Militärdienst leistete er in einem Infanterieregiment, das 1866 als Grenzschutz in Hamburg und Altona eingesetzt wurde. Nach kurzer Tätigkeit als Lehrer in Jauer kam Lindner an die Realschule am Zwinger in Breslau. 1868 habilitierte er sich an der Universität seiner Vaterstadt mit einer Arbeit über den Kölner Erzbischof Anno II. Während des Krieges 1870/71 nahm er als Gefreiter, später Vizefeldwebel des schlesischen Füsilierregiments Nr. 38 an der Belagerung von Paris teil. 1874 zum außerordentlichen Professor ernannt, erhielt Lindner 1876 ein Ordinariat an der Akademie in Münster und schied aus dem Schuldienst aus. 1883/84 amtierte er als Rektor der Akademie. In Büchern und Aufsätzen widmete sich Lindner der spätmittelalterlichen Geschichte, vor allem der Diplomatik. Zu Gustav Droysens Allgemeinem Historischen Handatlas steuerte er sechs Karten bei. 1888 veröffentlichte er sein bedeutendstes Werk: die Untersuchung über die Veme demontierte zahlreiche Legenden über diese Rechtsinstution. Heftige Angriffe anderer Gelehrter konnte Lindner souverän zurückweisen, die Juristische Fakultät der Universität Halle verlieh ihm 1913 für das Buch den Ehrendoktortitel. Als Nachfolger Erst Dümmlers, der 1888 die Leitung der Monumenta Germaniae Historica übernahm und an die Universität Berlin wechselte, erhielt Lindner an der Universität Halle 1888 das Ordinariat für mittlere und neuere Geschichte. Zugleich übernahm er die Leitung der Historischen Kommission für Sachsen und Anhalt, die er bis zu seinem Tod innehatte. In Halle verfasste Lindner eine zweibändige Geschichte der deutschen Länder unter den Habsburgern und Luxemburgern (1273­1473) und eine Geschichte des deutsch-französischen Krieges 1870/71 die zum Bestseller wurde. Nicht den Beifall der Fachwelt fanden Untersuchungen über Königswahlen und die Entstehung des Kurfürstentums. Spektakulär hingegen war die Zerstörung von der Fabel der Bestattung Karls des Großen in sitzender Haltung auf dem Thron. Hierzu holte Lindner ein Gutachten des hallischen Anatomen Hermann Welker ein, wie lange Zeit eine Leiche in sitzender Stellung verharren könnte. 1894 veröffentlichte Lindner eine zweibändige Geschichte des deutschen Volkes, 1898 eine ebenfalls populäre Geschichte der Hanse. Abschätzige Urteile von Fachkollegen über diese Bücher brachten Lindner nicht davon ab, die Verwirklichung seines Lebenswerkes in Angriff zu nehmen. Mit einer an der Methode der Naturwissenschaften orientierten »Geschichtsphilosophie«, die zugleich den Geniekult der Zeit ablehnte, leitete er seine Weltgeschichte seit der Völkerwanderung sein. Bis 1916 lag das Werk in 9 Bänden vollständig vor. Den »ersten« Band, Altertum, gab Lindners Frau gemeinsam mit Albert Wermninghoff aus dem Nachlass heraus. Lindners Frau hatte an dessen Werken ohnehin wesentlichen Anteil, sie übertrug seine Manuskripte in Reinschrift und überarbeitete sie wohl auch. Lindner galt als charismatischer und eigenwilliger Dozent, seine Kollegs leitete er stets mit dem Satz ein: »Glauben sie niemals irgendeiner wissenschaftlichen Autorität«. Humor bewies er mit seiner Rede zum Festkommers anlässlich des Historikertags 1900 in der Burse zur Tulpe, in der er die Bedeutung des Bieres für die Geschichte des deutschen Volkes erörterte. Gestorben ist Lindner, der seit Kriegsende über »geistige Ermattung«, hervorgerufen durch die »elende Lage unseres Volkes« klagte, an einer Lungenentzündung, wurde also wohl Opfer der Grippeepidemie. Bei der Trauerfeier sprachen Kollegen und Schüler, auf seinen ausdrücklichen Wunsch jedoch kein Geistlicher.

Organisationen: Burschenschaft Germania, Nationalliberale Partei

Quellen: UAHW, Rep. 11, PA 10153 (Theodor Lindner); Mitteldeutsche Lebensbilder, Band 5, S. 503-­519.

Autor: HE

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