Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Erwin Reichenbach

Erwin Reichenbach

geboren: 1. August 1897 Augsburg
gestorben: 24. Januar 1973 Halle
Konfession: evangelisch
Vater: Landgerichtsrat

Erwin Reichenbach

Reichenbach besuchte die Volksschule in Augsburg und das humanistische Gymnasium in München. Nach der Reifeprüfung 1916 schrieb er sich für das Medizinstudium ein und leistete Kriegsdienst in einer Sanitätsformation (ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse, dem Bayerisches Militärverdienstkreuz mit Krone und Schwertern und dem Verwundetenabzeichen in schwarz). 1919 diente er im Wehrregiment (Freikorps) München, danach in der Einwohnerwehr. Das Studium der Zahnmedizin schloss Reichenbach 1921 mit der Promotion zum Dr. med. dent. ab (Dissertation: »Methoden zur Mobilisation von ankylotischen Kiefergelenken«) und erhielt die Approbation als Zahnarzt. 1922 erhielt er eine Assistentenstelle an der Zahnklinik der Universität München. Ab 1926 setzte er das Medizinstudium fort. 1929 wurde Reichenbach Oberarzt an der Universitätszahn- und Kieferklinik München, 1930 erhielt er die Approbation als Arzt und promovierte mit der Dissertation »Experimentelle Untersuchungen über das Wesen der Nasalität und die Klangveränderung durch O-Turatoren« zum Dr. med. Im selben Jahr habilitierte er sich mit der Schrift »Die Umwandlungen der Schmelzpulpa und der Schmelzepithelien während der Entwicklung des Zahnes«. 1936 berief ihn die Universität Leipzig auf den Lehrstuhl für Zahn- und Kieferkrankheiten. Von 1939 bis 1945 leistete Reichenbach Kriegsdienst als Oberfeldarzt der Reserve. In dieser Zeit befasste er sich vor allem mit wiederherstellender plastischer Gesichtschirurgie (Publikationen in der Zeitschrift »Militärarzt« sowie »Erste kieferchirurgische Erfahrungen aus dem Feldzug gegen Polen«, 1940). 1945 entlassen, wurde Reichenbach seit 1946 im Vertragsverhältnis wiederbeschäftigt. Im Einvernehmen mit der Sowjetischen Militäradministeration, berief ihn die Universität Halle trotz seiner, wie die Personalakte vermerkt, »reaktionären Vergangenheit« zum Professor mit Lehrstuhl. Rufe in die Bundesrepublik lehnte er ab (u. a. 1955 München). Von 1956 bis 1958 war er Dekan der Medizinischen Fakultät. Seit den 50er Jahren widmete sich Reichenbach verstärkt der Zahnbehandlung von Kindern und Jugendlichen (Aufbau einer Jugendzahnklinik, »Kinderzahnheilkunde im Vorschulalter« 1969, 2. Auflage 1973). Reichenbach veröffentlichte mehrere Lehr- und Handbücher zur Kieferbehandlung ( u. a. »Leitfaden der Kieferbruchbehandlung«, 1943, 6. Auflage 1954; »Kieferorthopädische Klinik und Therapie«, 1952, 7. Auflage 1971; »Lehrbuch der Klinischen Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde«, 1941, 2. Auflage 1952). Außerdem war er lange Jahre geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift »Deutsche Zahn-, Mund und Kieferheilkunde«.

1956 erhielt Reichenbach, der der Leopoldina, der Deutschen Akademie der Wissenschaften sowie verschiedenen zahnärztlichen wissenschaftlichen Vereinigungen in Westeuropa und den USA angehörte, den Nationalpreis II. Klasse. Da Reichenbach jedoch der Gesundheitspolitik des SED-Regimes kritisch gegenüberstand und als Vizepräsident der Leopoldina versuchte, die Einheit der deutschen Wissenschaft zu erhalten, stand er unter Beobachtung durch das Ministerium für Staatssicherheit. Unmittelbar nach dem Bau der Berliner Mauer beschloss das Staatssekretariat für Hoch- und Fachschulwesen seine vorzeitige Emeritierung. Als Vorwand diente eine Tagung im Oktober 1961, zu der Reichenbach mehrere Zahnärzte aus der Bundesrepublik eingeladen hatte. Er wurde beschuldigt, feindlicher Propaganda eine Plattform zu bieten. Reichenbach bot nach rüden Beschimpfungen durch untergeordnete Funktionäre den Rücktritt von allen Ämtern an. Überraschend akzeptierte das Staatssekretariat und versetzte ihn zum 1. Januar 1962 vorzeitig in den Ruhestand. Nach der Emeritierung wurde Reichenbach mit Berufsverbot belegt. Für die Annahme von Gastprofessuren in Österreich, Schweiz, Ägypten und Finnland verweigerte das Staatssekretariat die Zustimmung, seinen Übersiedlungsantrag in die Bundesrepublik lehnte das Innenministerium ab. Erst 1965 wurde Reichenbach erneut als Fachzahnarzt in Halle zugelassen, die Medizinische Fakultät der Universität Halle ehrte ihn 1967 mit einem Ehrendoktorat.

Er setzte sich in der DDR für Universitätsangehörige ein, die aus politischen Gründen verfolgt worden sind.

Organisationen: 1933 Eintritt in die NSDAP (Nr. 1 929 396), 1933 SA, Sturmbannarzt im Rang eines Sturmführers, 1936 NS-Dozentenbund; 1947 Eintritt in die SED, 1950 Austritt, da er den Parteiauftrag »Übernahme des Dekanats« als Druck auffasste, 1947 FDGB

Quellen: UAHW, Rep. 11, PA 19885 (Reichenbach); BA R 4901/13274; Schriften; Sybille Gerstengarbe, Die Leopoldina in den konfliktreichen Jahren 1958–1962, in: Acta historica Leopoldina, Nr. 36, S. 63–100.

Zeitzeugnisse, S. 3

Bild: Leopoldina-Archiv

Autor: HE, AK

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