Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Grußwort des Rektors der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Achtzig Jahre nach dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft im Jahre 1933 gedenkt die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ihrer in den Jahren 1933 bis 1945 aus „rassischen“ oder politischen Gründen – in manchen Fällen aus beiden zugleich – aus dem Staatsdienst entlassenen und aus der Universität ausgeschlossenen Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer. Äußerer Anlass des Gedenkens sind der Erlass des Gesetzes „zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 und die rassistischen Gesetze der folgenden Jahre seit 1935. Eine „Wiedergutmachung“ erfahrenen Unrechts kann mit diesem Gedenken, wie Rüdiger vom Bruch in seinem Vortrag zu Recht betont, in keinem Fall stattfinden: Eine „Wiedergutmachung“ hätte unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft begonnen werden und sich an die Betroffenen selbst wenden müssen mit dem Bekenntnis begangenen Unrechts und der Einladung und Bitte, an die Universität zurückzukehren. Solche Rückberufungen geschahen allerdings nur in Ausnahmefällen, und sie konnten selbst dann, wenn sie ausgesprochen wurden, eine unakzeptable Zumutung an die Adressaten darstellen, wenn ganze Familien und Freundeskreise in Vernichtungslagern ermordet worden waren und der Gedanke an Deutschland nur noch belastend wirkte. Insofern bleibt der Begriff der „Wiedergutmachung“, auch wenn er im Kontext der Verantwortung für die deutsche Geschichte der Jahre 1933 bis 1945 fest etabliert ist, höchst problematisch. Die Entziehung akademischer Grade und die Entlassung aus universitären Ämtern lassen sich innerhalb zeitlicher Grenzen revozieren; die Entziehung der Lebensgrundlage aber, die alle Aussichten auf ein Weiterleben verstellt, bleibt eine unablösbare Schuld.

Eine Universität kann ihren Anspruch, ein Ort produktiven kritischen Denkens zu sein, nur dann einlösen, wenn sie auch ihre eigene Geschichte kritisch in den Blick nimmt. Die Geschichte einer Universität ist die Geschichte einer Institution, damit vor allem aber die Geschichte der Menschen, die diese Institution bilden. Dies ist schon im Begriff der universitas angelegt, der sich ursprünglich auf die „Gemeinschaft der Lehrenden und der Lernenden“ bezog. Seit den Anfängen im Mittelalter war Wissenschaft jedoch ein höchst konkurrentielles Geschäft. Eine Universität ist kein „Elfenbeinturm“, der ewige Wahrheiten verströmt, sondern zutiefst eingebunden in die politischen und sozialen Auseinandersetzungen ihrer jeweiligen Zeit. Die nationalsozialistische Herrschaft ist nicht über die Universitäten hereingebrochen wie eine fremde Besatzungsmacht. Sie wurde vielmehr von Mitgliedern der Universitäten aus allen Statusgruppen mit vorbereitet, getragen und zum Teil enthusiastisch begrüßt. Diese Erkenntnis bleibt eine Herausforderung für das Selbstverständnis von Universitäten: Exzellente fachwissenschaftliche Qualifikation und hohe fachliche Reflexionsfähigkeit sind nicht per se ein Schutz vor politischen Irrgängen und menschlicher Asozialität.

Ich bin allen sehr dankbar, die sich mit Beiträgen an diesem Band beteiligt haben. Dieser Band und die akademische Gedenkfeier unter dem Titel „Ausgeschlossen“ am 27. November 2013 sind keine Auftragsarbeit des Rektorats. Beide sind vielmehr das Ergebnis einer Initiative von Mitgliedern unserer Universität, zu der Friedemann Stengel aufgerufen hat und der sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen Fakultäten innerhalb kurzer Zeit angeschlossen haben. Dabei wurde deutlich, dass viele der seit 1933 „ausgeschlossenen“ Mitglieder unserer Universität bei weitem nicht vergessen worden sind, sondern man sich in den entsprechenden Fakultäten ihrer und ihrer wissenschaftlichen Leistungen, aber auch ihrer Schicksale, sehr wohl bewusst war und ist und auch schon entsprechende Forschungen vorgelegt oder vorbereitet hatte. Damit wird in diesen Beiträgen der Gedanke der universitas lebendig, der auch den Aspekt einer Generationen übergreifenden Solidarität mit einschließt.

Dieser Band hat keinen abschließenden Charakter. Vielmehr eröffnet er weitergehende Forschungen zu Mitgliedern unserer Universität, die seit 1933 „ausgeschlossen“ worden sind. Dieser Ausschluss betraf ja nicht nur Professorinnen und Professoren, sondern auch Assistentinnen und Assistenten sowie Studierende, zu denen die relevanten Fakten viel schwieriger festzustellen sind. Insofern beinhaltet dieser Band auch die Bitte, sich mit entsprechenden Hinweisen an den Forschungen des Arbeitskreises zu beteiligen. Lebendiges Gedenken ist nicht mit einem Band und einer Veranstaltung abgetan, sondern eine permanente Aufgabe. Sich dieser Aufgabe zu stellen, gehört zum Selbstverständnis einer Universität und ihrer Aufgabe als auch politischer Akteur in ihrer Zeit. Insofern sollte der Titel dieses Bandes „Ausgeschlossen“ nicht nur eine Reminiszenz an das Jahr 1933 beinhalten, sondern zugleich eine Selbstverpflichtung der universitas: Was 1933 und in den folgenden Jahren geschehen ist, sollte für immer unmöglich und damit für alle Zeiten „ausgeschlossen“ sein und bleiben.

Halle, im Oktober 2013

Udo Sträter

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