Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Baron von Galléra, Sigmar

Baron von Galléra, Sigmar

geboren:6.1.1865 Magdeburg
gestorben:15.9.1945 Nietleben bei Halle
Konfession:evangelisch
Vater:Regierungsrat

Baron von Galléra, Sigmar

(auch Siegmar Schultze-Galléra)

Historiker, Germanist

Der Historiker Sigmar Baron v. Galléra wurde als Gotthilf Carl Sigmar Schultze am 6. Januar 1865 in die Familie des Magdeburger Regierungsbeamten Gotthilf Carl Schultze und seiner Frau Marie Therese Bollinger geboren. In Magdeburg besuchte v. Galléra eine Privatschule und wurde 1874 am Pädagogium aufgenommen. Nach bestandenem Abitur schrieb er sich 1884 als Student an der Philosophischen Fakultät der Königlichen Vereinigten Friedrichs-Universität Halle ein, um Philologie zu studieren und später die Lehrerlaufbahn einzuschlagen. Nach fünf Jahren hatte er sein Studium absolviert und eine Dissertation über die Entwicklung der Oswaldlegende vorgelegt, die am 22. Februar 1888 zur seiner Promotion führte. Sein Probejahr für den Schuldienst absolvierte er am Stadtgymnasium. Nach bestandenem Staatsexamen als Oberlehrer suchte v. Galléra seinen weiteren Weg nicht im Schuldienst, sondern blieb an der Universität, um sich zu habilitieren, was ihm 1892 mit einer Arbeit über die Entwicklung der Goethischen Lyrik bis 1772 gelang. Seine Antrittsvorlesung über Klopstock und die Göttinger Dichter hielt er am 6. Februar 1892. Seitdem lehrte v. Galléra über vier Jahrzehnte als Privatdozent an der Universität Halle deutsche Literatur und Sprache. Mit Ablauf des Wintersemesters 1936/37 wurde v. Galléra 72-jährig von der Verpflichtung, Vorlesungen zu halten, entbunden. Am 1. Oktober 1939 erlosch schließlich seine Lehrbefugnis, dennoch hielt er nachweislich bis April 1940 noch Vorlesungen. Mit der Genehmigung des Rektors wurde er weiterhin als Dozent im Lehrkörper der Universität geführt.

Probleme hatte v. Galléra mit seinem „allzu häufigen und farblosen“ Geburtsnamen Schultze, den es an der Universität dreimal unter den Dozenten gab und der offenbar zu manchen Verwechslungen geführt hat. 1895 und 1896 wissen wir von den erfolglosen Versuchen, dem Namen Schultze den Zunamen der Hugenottenfamilie Gramont beizufügen. Einige Jahre später gelang ihm die Namensänderung durch Adoption. Am 30. September 1904 wurden Sigmar Schultze und seine vier Kinder von dem Breslauer Immobilienmakler Baron Arthur von Galléra adoptiert. Seitdem führte er den amtlichen Namen Sigmar Galléra. An der Universität firmierte er weiterhin als Sigmar Schultze. Erst 1912 machte er durch eine offizielle Mitteilung publik, dass er seinem bisherigen Familiennamen den Zunamen Galléra hinzufügen und sich von nun an Schultze-Galléra nennen werde. Nachdem eine Gesetzesänderung auch das Führen des  Adelsprädikates ermöglichte, änderte er 1921 den amtlichen Familiennamen in Baron v. Galléra. Für seine wissenschaftlichen Arbeiten nutzte er ab jetzt den Namen Baron v. Schultze-Galléra.

Seine Wohnung hatte v. Galléra über viele Jahre in Halle. Später bezog er ein Haus im Heidedorf Nietleben. Die Entfernung nach Halle überbrückte er mit der Eisenbahn, was ihm ab 1921 während der deutschen Inflation wegen Fahrpreisen in Milliardenhöhe nicht mehr möglich war. Wie viele andere in dieser Zeit haben auch er und seine Familie „Jahre hindurch bitterste Not gelitten“.

Verheiratet war Siegmar Baron v. Galléra mit der aus Halle stammenden Antonia Lucia Lözius. Aus dieser Ehe sind vier Kinder hervorgegangen. Sein jüngster Sohn Joachim studierte in Halle Agrarwissenschaften. Der ältere Karl Sigmar nahm ein Geschichtsstudium auf und wendete sich in den 20er Jahren dem rechten Parteienspektrum zu. Zehn Jahre später hatte er es zum Gaustellenleiter der NSDAP im Gau Halle-Merseburg gebracht. Er war als Geschichtslehrer an der Gauschulungsburg Seeburg sowie an der Gauführerschule Wettin tätig und verfasste zahlreiche Propaganda- sowie Blut-und-Boden-Schriften. Trotz dieses Hintergrundes und eines wohlwollenden Schreibens des Rektors wurde sein Habilitationsgesuch 1938 von der Philosophischen Fakultät in Halle abgelehnt, weil diese die eingereichte Schrift („Der Kampf um die nationale Macht“) nicht als Habilitationsschrift anerkennen wollte.

Als 1941 innerhalb der NSDAP gegen Karl Siegmar wegen nichtjüdischer Abstammung ein Parteigerichtsverfahren eingeleitet wurde, gelangte dieser Vorgang auch an die Universität. Der Rektor bat „um Mitteilung, in welchem Grade der Dr. phil. Baron von Galléra jun. Mischling ist“, weil dessen Vater aufgrund der Unkenntnis seiner nichtarischen Abstammung der Universität als Dozent immer noch angehöre. Das Verfahren endete 1943 mit der Entlassung von Karl Siegmar aus der NSDAP, ein Gnadengesuch des Entlassenen wurde abgelehnt. Nachdem die Universität Kenntnis von diesem Parteiausschluss erhalten hatte, wurde die Dozentur von Siegmar Baron v. Galléra im März 1943 für erloschen erklärt.

Dies traf den fast 80-Jährigen zwar nicht direkt, da von Galléra schon seit längerer Zeit keine Vorlesungen mehr hielt, es ist aber ein bezeichnendes Beispiel dafür, dass selbst überzeugte Parteiangehörige Opfer derjenigen Politik werden konnten, die sie selbst vertraten. Siegmar v. Schultze-Galléra, der nach eigener Auskunft nie einer Partei angehörte, aber stets deutschnational und später nationalsozialistisch wählte, war von der widersinnigen Rassenpolitik der NSDAP ebenso betroffen wie sein Sohn Karl Siegmar, der es immerhin bis zum Gaustellenleiter der NSDAP gebracht hatte. Das Kriegsende erlebte Sigmar v. Schultze-Galléra in Halle-Nietleben, wo er am 15. September 1945 verstarb.

Als Germanist widmete sich v. Galléra am Anfang seiner wissenschaftlichen Laufbahn vor allem der Erforschung des jungen Goethe und der Edition der Tagebücher von Johannes Daniel Falk, wofür er sich von 1896 bis 1899 beurlauben ließ. Später hat er die Wendung zur Literaturwissenschaft, in der er wenig erfolgreich publizierte, als Irrtum bezeichnet. Dies war sicher auch ein Grund, weshalb v. Galléra zeitlebens als Privatdozent an der Universität tätig war. Ab 1912 wandte er sich schließlich ganz der Geschichte bzw. der Erforschung seiner engeren Wahlheimat zu. In einer großen Zahl von Büchern und Beiträgen über Halle und den Saalkreis hat er die in Bibliotheken, Archiven und bei Wanderungen gewonnenen Erkenntnisse niedergelegt. Besonders bemerkenswert sind die fünfbändige Reihe „Wanderungen durch den Saalkreis“ und das vierbändige Werk „Topographie der Stadt Halle“, die nach ihrem Erscheinen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr begehrt waren und zum Nachwandern anregten.

Schon zu seinen Lebzeiten galt Sigmar Baron v. Galléra als ein bedeutender Forscher und Chronist, der sich intensiv mit der Geschichte der Stadt Halle und des Saalkreises beschäftigte. Anlässlich seines 50-jährigen Doktorjubiläums 1938 und seines 75-jährigen Geburtstages 1940 wurde sein Wirken in den Lokalzeitungen gewürdigt. Sein Verdienst sei es, als Heimatforscher „die Geschichte der engeren Heimat wissenschaftlich zu erforschen und gemeinverständlich zu gestalten“. Dass er bei vielen seiner Publikationen fast gänzlich auf Nachweise und Belege verzichtet hat, ist für diejenigen bedauerlich, die Sachverhalte nachprüfen möchten. Trotzdem erfreuen sich die Werke von Siegmar Baron v. Galléra auch heute noch großer Beliebtheit, werden von der Heimatgeschichtsforschung regelmäßig rezipiert und bisweilen sogar neu aufgelegt.


Ausgewählte Publikationen von Sigmar Baron von Galléra

  • Wanderungen durch den Saalkreis. 5 Bde., Halle 1913–1924.
  • Topographie oder Häuser- und Strassen-Geschichte der Stadt Halle a. d. Saale. 3 Bde., Halle 1920–1924.
  • Die Sagen der Stadt Halle und des Saalkreises. Halle 1922.
  • Die Juden zu Halle im Mittelalter. Halle 1922.
  • Geschichte der Stadt Halle. 2 Bde., Halle 1925 und 1929.

Quellen und Literatur

  • UAH PA 6464; Rep. 21/II, Nr. 147, 217; Rep. 21/III, Nr. 141, 73.
  • Erich Neuss und Tassilo Schmalfeld: Bibliographie der heimatgeschichtlichen Arbeiten von Dr. Siegmar v. Schultze-Galléra anläßlich der 100. Wiederkehr seines Geburtstages. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Halle, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 13 (1964), 521–538.
  • Gerlinde Schlenker: Dr. Gotthilf Siegmar Baron von Schultze-Galléra. 15. Sept. 1995 – 50. Todestag. In: Heimat-Jahrbuch Saalkreis (1995), 37f.

Bild: Siegmar Baron v. Galléra 1894 (UAH).

Quelle: Friedemann Stengel (Hg.): Ausgeschlossen. Die 1933-1945 entlassenen Hochschullehrer der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Halle 2016, S. 111 - 116

Autor: Michael Ruprecht

Weitere Bilder und Dokumente:

Dokument: Baron von Galléra, Sigmar

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