Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Bernstein, Rudolf

geboren:3.1.1880 Halle
gestorben:13.3.1971 Kilchberg bei Zürich
Konfession:evangelisch
Vater:Julius Bernstein, Professor an der Universität Halle

Bernstein, Rudolf

Ingenieurwissenschaftler

Rudolf Bernstein entstammt einer verzweigten, jüdischen Familie. Sein Großvater Aaron Bernstein (1812–1884) war Schriftsteller und Mitbegründer des Reformjudentums in Berlin. Er betätigte sich auch als angewandter Naturwissenschaftler und publizierte 1855–56 die „Naturwissenschaftlichen Volksbücher“ in 21 Bänden, welche wiederholt  aufgelegt wurden. Diese populärwissenschaftlichen Schriften beeinflussten auch den jungen Einstein stark. Das älteste von sieben Kindern Aaron Bernsteins war der Physiologe und Professor an der Universität Halle, Julius Bernstein (1839–1917). Rudolf Bernstein wurde am 3. Januar 1880 als Sohn von Julius Bernstein in Halle geboren.

Nach dem Schulbesuch in Halle studierte er in Braunschweig, München, Berlin und Danzig Maschinenbau sowie in Heidelberg und Halle Physik sowie Mathematik. 1906/07 leistete er seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger in Halle. Er schloss das Studium mit der Diplomhauptprüfung in der Fachrichtung „Allgemeiner Maschinenbau“ 1907 in Danzig ab. Er eignete sich somit umfangreiche naturwissenschaftlich-technische Kenntnisse an. Seine technischen Kenntnisse erweiterte er durch eine einjährige Werkstatttätigkeit in den Eisenbahnwerkstätten Halle/Saale und der Maschinenfabrik von Johann Friedrich August Borsig in Tegel. Die Dissertation fertigte Bernstein auf physikalischem Gebiet am Physikalischen Institut der Universität Halle-Wittenberg unter der Leitung von Prof. Ernst Dorn an. Ab 1909 war er Assistent am Landwirtschaftlichen Institut der Universität. Er habilitierte sich im Jahre 1911 auf technischem Gebiet.

Auf Grund seiner Entwicklungsarbeiten an einem Motorpflug wurde er mit Unterstützung von Prof. Benno Martiny (1871–1953), Extraordinarius für Landmaschinenkunde an der Universität Halle-Wittenberg, vom Militärdienst freigestellt.

Am 18. Juni 1918 wurde ihm der Titel Professor verliehen und am 31. August 1921 erhielt er die Dienstbezeichnung nichtbeamteter außerordentlicher Professor. Bernstein hielt Vorlesungen über „Maschinentheorien“ und führte seine Schüler in Industrie und Technik ein. Er unternahm mit seinen Schülern „Technische Ausflüge“.

Die Forschungsstelle an der Universität, an der Bernstein unentgeltlich lehrte, wurde 1931 geschlossen. Daraufhin wurde von der Fakultät versucht, für Bernstein einen besoldeten Lehrvertrag zum Thema „Industrie und Technik in der Gegenwart“ zu erwirken. Dekan Paul Holdefleiß schrieb am 20. Januar 1931, dass es Bernstein nicht möglich sei, „neben einer Erwerbstätigkeit die für die akademische Lehre notwendige Zeit zu finden“. Weiter heißt es, dass dies aber ein „empfindlicher Ausfall“ wäre, denn Bernstein habe „in zahlreichen Untersuchungen … neue Probleme aufgezeigt, zu ihrer Lösung Verfahren geschaffen und durch die Ergebnisse im Landmaschinenwesen bahnbrechend gewirkt.“ Der Antrag wurde vom Ministerium bewilligt. Ein Nachfolgeantrag im Jahre 1932 wurde mit der Begründung, dass eine Bewilligung unter den heutigen Verhältnissen leider nicht möglich ist, abgelehnt. Ab dem Sommersemester 1933 konnte er keine Lehrveranstaltungen mehr abhalten und musste auch seine Arbeitsräume im Landwirtschaftlichen Institut aufgeben. Am 14. September 1933 erhielt er das Schreiben des Ministeriums,  dass auf Grund von § 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums die Lehrbefugnis an der Universität Halle-Wittenberg entzogen wird. Er gehörte damit zu den Wissenschaftlern der Universität, die im Rahmen einer ersten Entlassungswelle die Universitäten in Deutschland verlassen mussten.

Rudolf Bernstein emigrierte 1939 zuerst nach Baden in der Schweiz. Ab 1969 lebte er in Zürich. Rudolf Bernstein starb 1971 in Kilchberg bei Zürich.

Rudolf Bernsteins älterer Bruder Felix Bernstein (1878–1956) war Mathematiker und Schüler von Georg Cantor in Halle. Er war ab 1921 Professor in Göttingen und besonders auch für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Statistik bekannt. Er emigrierte 1934 in die USA, kehrte nach dem Krieg nach Europa zurück und starb 1956 in Zürich.

Rudolf Bernstein war Ingenieur und beschäftigte sich vorwiegend mit der Konstruktion und Prüfung landwirtschaftlicher Maschinen und publizierte auf diesem Gebiet. Um die Freistellung vom Heeresdienst zu erwirken, schrieb Prof. Martiny am 26.8.1916 an den Universitätskurator:

„Derselbe ist z. Zt. mit der Ausarbeitung eines von ihm erdachten Klein-Motorpfluges beschäftigt und hat die Arbeit bereits soweit geführt, dass die Detailkonstruktion beginnen kann. Die Schaffung eines Klein-Motorpfluges, welcher die Anforderungen der landwirtschaftlichen Praxis hinreichend erfüllt, wird für die Eigenernährung unseres Volkes mehr und mehr von ausschlaggebender Bedeutung. […] Nach meinem entschiedenen Dafürhalten verspricht der Bernsteinsche Entwurf eine gute Lösung der vorliegenden Aufgabe.“

In einem vom 6. Juli 1916 datierten Brief an die MAN (Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg) bot Bernstein seinen Entwurf an. Der Entwurf ging auf eine kritische Analyse bereits vorhandener Systeme zurück. Seine Neuerungen hatte er patentrechtlich sichern lassen.

Die Vorteile von Bernsteins Konzept wurden erkannt und die MAN produzierte diese Motorpflüge ab 1921. Durch den Ersten Weltkrieg war die Entwicklung zur Serienreife verzögert worden. Mit diesem Motorpflug begann das Engagement von MAN in der Landtechnik. Auf der DLG-Ausstellung in Leipzig im Jahre 1921 erhielt der Motorpflug die Große Silberne Gedenkmünze, die höchste Auszeichnung. Im Jahre 1924 stelle MAN die Produktion der Motorpflüge ein, um die Kapazitäten für den LKW-Bau verwenden zu können. Das Bernsteinsche Konzept wurde auch durch die aufkommenden Traktoren verdrängt. Bernstein hat sich seine technischen Entwicklungen in 30 Patenten schützen lassen. Nach der Emigration in die Schweiz betätigte er sich
weiter als Ingenieur und Erfinder, wovon Patentanmeldungen aus dieser Zeit zeugen.


Ausgewählte Publikationen von Rudolf Bernstein

  • Untersuchung über den Magnetismus einiger Gase und Dämpfe. Halle 1909 (Dissertation Halle 1909).
  • Beiträge zur Ausbildung der Kraftmesser, 1. Teil Berlin 1911 (Habilitationsschrift Halle 1911).
  • Abriss einer Motorpflugmechanik. In: Benno Martiny (Hg.): Die Motorpflüge als Betriebsmittel neuzeitlicher Landwirtschaft. Bd. 2, Berlin 1917, 121–182.
  • Motorackergerät, besonders Motorpflug mit angetriebener Vorderkarre, Deutschland, Pat. 323614, 1920.
  • Agricultural machine, US Pat. 1,399,045, 1921.
  • Apparatus for drying material by utilizing vapor heat, US Pat. 2,329,581, 1937.
  • Die Theorie des Pflugstreichblechs. In: Kühn-Archiv 5 (1914), 169–190.

Quellen und Literatur

  • Eberle 74, 404f.
  • Catalogus Professorum Halensis; UAH PA 4433.
  • Jürgen Renn: Auf den Schultern von Riesen und Zwergen – Einsteins unvollendete Revolution. Weinheim 2006.
  • Sybille Gerstengarbe: Die erste Entlassungswelle von Hochschullehrern deutscher Hochschulen aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.4.1933. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 17 (1994), 17–39.
  • Johannes Bär, Ralf Banken und Thomas Flemming: Die MAN – eine deutsche Industriegeschichte. München 2008; Albert Mößmer: Typenatlas MAN Traktoren. München 2013.
  • DEPATISnet, München: Deutsches Patent- und Markenamt.
  • Andreas D. Ebert: Jüdische Hochschullehrer an preussischen Universitäten (1870–1924). Eine quantitative Untersuchung mit biographischen Skizzen. Frankfurt a.M. 2008. 
  • Ferdinand Wohltmann: Vorwort zur Festschrift zur Feier des 50jährigen Bestehens des Landwirtschaftlichen Instituts. In: Kühn-Archiv 5 (1914), V–XX.

Bilder

  • Foto: UAH.
  • Bild: Motorpflug der MAN aus dem Jahre 1921. Bauzeit 1921–1924, 4 Zylinder-Motor, 6.830 ccm, 20 PS später 30 PS, Höchstgeschwindigkeit 4,8 km/h, Eisenräder. Aus Albert Mößmer: Typenatlas MAN-Traktoren. München 2013.

Quelle: Friedemann Stengel (Hg.): Ausgeschlossen. Die 1933-1945 entlassenen Hochschullehrer der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Halle 2016, S. 21 - 27

Autor: Wolfram Hergert

Weitere Bilder und Dokumente:

Dokument: Bernstein, Rudolf

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