Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Blochmann, Elisabeth Friederike Emma

Blochmann, Elisabeth Friederike Emma

geboren:14.4.1892 Apolda
gestorben:27.1.1972 Marburg
Konfession:jüdisch
Vater:Jurist, Staatsanwalt und Geheimrat

Blochmann, Elisabeth Friederike Emma

Pädagogin

Elisabeth Blochmann kam am 14. April 1892 in Apolda (Thüringen) als älteste von drei Töchtern einer jüdischen Mutter zur Welt. Ihr Vater war promovierter Jurist, Staatsanwalt und Geheimrat, so dass Elisabeth Blochmann, die mit ihrer Familie seit 1899 in Weimar lebte, in den Kreisen des Bildungsbürgertums heranwuchs. Nach dem Abitur und einer Ausbildung zur Hilfsschwester beim Deutschen Roten Kreuz erwarb sie 1914 das Lehrerinnenexamen nach der Absolvierung des Lehrerinnenseminars in Wiesbaden. Von 1917 bis 1922 studierte sie in Jena, Straßburg, Marburg an der Lahn und zuletzt Göttingen die Fächer Deutsch, Geschichte sowie Romanistik und besuchte darüber hinaus Veranstaltungen in Philosophie, Pädagogik und Soziologie. Im Jahr 1923 promovierte sie im Fach Geschichte. Während ihrer Zeit in Göttingen begegnete sie dem Pädagogen und Philosophen Herman Nohl, der sie als Freund und Förderer nachhaltig prägte und maßgeblich zu ihrem Interesse an der Pädagogik beitrug. Elisabeth Blochmann arbeitete bis 1926 an der Sozialen Frauenschule in Thale im Harz und im Anschluss daran am Pestalozzi-Fröbel-Haus 1 sowie an der Werner-Schule des Deutschen Roten Kreuzes und dem Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht in Berlin als Dozentin. Im Jahre 1930 wurde sie an die neugegründete Pädagogische Akademie in Halle (Saale) als Professorin für Sozialpädagogik und Theoretische Pädagogik berufen. Am 14. September 1933 wurde sie fristlos und ohne Anspruch auf eine Pension aus dem Staatsdienst entlassen, weshalb sie 1934 nach England emigrierte. Am Lady Margaret Hall College in Oxford übernahm Blochmann schließlich eine Lehrtätigkeit. Während dieser Zeit veröffentlichte sie auch literaturwissenschaftliche Beiträge. Ein Ruf an die Philipps-Universität Marburg ließ sie 1952 im Alter von sechzig Jahren nach Deutschland zurückkehren und Elisabeth Blochmann wurde so zu der ersten Frau mit einem eigenen Lehrstuhl in der Pädagogik an einer westdeutschen Universität nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Auch nach ihrer Emeritierung im Jahr 1962 ging sie ihrer wissenschaftlichen Arbeit weiterhin nach. Am 27. Januar 1972 starb Elisabeth Blochmann infolge einer Krebserkrankung.

Elisabeth Blochmann setzte sich dezidiert mit Fragen zur Kindergartenpädagogik, der Lehrerbildung, der Mädchen- und Frauenbildung sowie der Sozialpädagogik auseinander. Juliane Jacobi kommt zu dem Schluss, dass Blochmann in ihrem Mitte der 1960er Jahre erschienenen „Nachwort aus heutiger Sicht“ zu ihrer Studie über die Mädchenbildung in Deutschland „Das ‚Frauenzimmer‘ und die ‚Gelehrsamkeit‘“, „fast visionär eine neue Stärkung von Frauen in Wissenschaft und Bildung heraufziehen sieht“.

Elisabeth Blochmann strebte, ebenso wie viele ihrer Freunde, Kollegen und ganz allgemein zahlreiche Deutsche in der Zeit vor und während der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, nach ideellen Werten in Verbindung mit einer Bildung einer Nation bzw. einer Nationalbildung. Es bestand der Anspruch auf eine historisch-kulturelle Eigenständigkeit Deutschlands und auf geistige Freiheitsrechte in Relation mit einem fruchtbaren Austausch mit anderen Kulturen. Ein Gefühl des Umbruchs und einer umfassenden Bewegung herrschte, die auch von vielen Vertretern der geisteswissenschaftlichen Pädagogik als notwendig für die weitere Entwicklung Deutschlands gesehen wurde. Dabei existierten augenfällige Gemeinsamkeiten in der Begriffsverwendung dieser wissenschaftlichen Ausrichtung und der nationalsozialistischen Ideologie, welche von wissenschaftlicher Seite vielfach kritisch beleuchtet wurden – mit unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Laut der Diskontinuitätsthese können diese Begriffe – trotz aller berechtigter Kritik – jedoch nicht völlig deckungsgleich verwendet werden. Anscheinend verschleierten Idealismus und der teilweise gemeinsame Sprachduktus auch einigen ab ca. 1935 scharfen Kritikern des nationalsozialistischen Regimes zunächst das wahre Ausmaß nationalsozialistischer Ideologie und die daraus resultierenden perfiden Praktiken. Dies scheint auch auf Elisabeth Blochmann zuzutreffen. Wolfgang Klafki kommt zu dem Schluss, Blochmann deutete die diktatorischen und rassistischen Maßnahmen als extreme, aber begrenzte Auswüchse eines letztlich als positiv zu wertenden Wandels. So traf das am 7. April 1933 erlassene Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums Elisabeth Blochmann unvorbereitet. In den Monaten nach dem Erlass des Gesetzes und ihrer Entlassung versuchte sie vergeblich, sich diesem Schicksal zu entziehen. Ihre ganze Hoffnung setzte sie hierbei in den Philosophen Martin Heidegger, mit dem sie durch dessen Frau Elfride, einer Studienfreundin Blochmanns, seit vielen Jahren ein freundschaftliches Verhältnis pflegte. In dem von Joachim W. Storck (1990) herausgegebenen Briefwechsel zwischen Elisabeth Blochmann und Martin Heidegger ist das Ringen um eine weitere Anstellung und somit Anerkennung ihrer Person anschaulich dokumentiert. Hierin kommt zum Ausdruck, dass Heidegger trotz seiner einflussreichen Position und seiner weitreichenden Kontakte, letztlich – neben bedauernden Worten unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit und dem Versichern der innigen Freundschaft – keinerlei Anstrengungen unternahm, Elisabeth Blochmann zu helfen. Am 14. September 1933 richtet Blochmann einen eindringlichen Brief an Heidegger:

„Ich komme sehr ungern heute noch einmal mit meiner Sache, weil ich mir denken kann, wie sehr die eigene große Aufgabe jetzt Ihre Gedanken und Kräfte in Anspruch nimmt. Trotzdem wage ich es noch einmal, weil in diesen Septembertagen es sich doch unweigerlich entscheidet, ob ich zu Deutschland und zur deutschen Arbeit in irgendeiner Form weiter dazugehören darf oder nicht. […]“

In der Annahme, in Berlin einen Termin mit dem preußischen Kultusminister zu haben, wollte Heidegger diesen anscheinend auf die Situation Elisabeth Blochmanns ansprechen.
Allerdings traf er lediglich auf den Ministerialrat, woraufhin er Blochmann am 19. September 1933 schrieb: „Ich brachte es nicht fertig, um ‚Audienzen‘ zu bitten, da man ja von mir etwas will.“ War es – wie Wolfgang Klafki und Helmut-Gerhard Müller vermuten – der verletzte Stolz Heideggers, den er noch nicht einmal zugunsten seiner Freundin zu überwinden bereit war, oder wollte er gar nicht allzu offensiv für Freunde mit jüdischen Wurzeln eintreten und das nicht stattgefundene Treffen bildete so eine willkommene Ausrede? Wir wissen es nicht.

Neben dem Nichtstun Heideggers wird in diesen Briefen die lähmende Abhängigkeit Elisabeth Blochmanns deutlich. Ihre familiäre Abstammung situierte sie in eine Position, aus der sie nicht ohne fremde Hilfe heraus kommen konnte. Trotz ihrer beeindruckenden und bis dato anerkannten wissenschaftlichen Tätigkeit wurde sie zu einer Person ohne rechtliche Macht. Im Zuge dessen wurde gleichsam ihre Persönlichkeit nivelliert. Das Gefühl der Ohnmacht, das so in Elisabeth Blochmann entstanden sein musste, wird in ihren Briefen mit zuweilen demütig wirkenden Bitten offensichtlich. Die persönliche Enttäuschung äußerte sie aber Heidegger gegenüber nicht, sondern sie vertraute dies Herman Nohl an. Bereits im Juni 1933 tat sie ihm ihre Enttäuschung, nachdem Heidegger sich wider ihre Hoffnung nicht für sie einsetzte, kund:

„Für die Freundschaft zwischen Ma. [Martin Heidegger] und mir wäre eine gründliche Aussprache schon sehr nötig gewesen, aber er hatte Angst davor, das war mir deutlich. […] Schlimm ist im Augenblick für das Verhältnis auch nicht das Versagen in B. [Berlin] selber, sondern die nicht aufrichtige Art der Mitteilung.“

Die Biographie Elisabeth Blochmanns offenbart einmal mehr die Wirkmächtigkeit der Rassegesetze zur Zeit des Nationalsozialismus. Zugleich wird ebenso deutlich, wie wenig ernst diese Erlasse zunächst von vielen Betroffenen genommen wurden. Im Fall von Elisabeth Blochmann zeigt die Geschichte ihre zynische Seite: Wären Blochmanns Hilfegesuche nicht auf taube Ohren gestoßen und wäre sie somit im Jahr 1934 nicht nach England emigriert, so hätte ihr Leben aller Wahrscheinlichkeit nach noch einen weitaus tragischeren Verlauf genommen.


Ausgewählte Publikationen von Elisabeth Blochmann

  • „Der Kindergarten.“ In: Herman Nohl und Ludwig Pallat (Hgg.): Handbuch der Pädagogik. Bd. 4, Langensalza 1928, 75–90.
  • Der Inhalt der Erziehung in der grammar School. In: Die Sammlung. Zeitschrift für Kultur und Erziehung 2 (1946/47), 111–121.
  • Fröbel in der Gegenwart – ein Problem. Betrachtungen zum Fröbel-Jahr 1952. In: Die Sammlung 8 (1953), 266–272.
  • Die akademische Lebensform. In: Neue Sammlung 3 (1963) 7–14.
  • Das „Frauenzimmer“ und die „Gelehrsamkeit“. Eine Studie über die Anfänge des Mädchenschulwesens in Deutschland. Heidelberg 1966.
  • Hermann Nohl in der pädagogischen Bewegung seiner Zeit (1879–1960). Göttingen 1969.

Quellen und Literatur

  • Juliane Jacobi: Elisabeth Blochmann. First-Lady der akademischen Pädagogik. In: Ilse Brehmer (Hg.): Lebensläufe deutscher Pädagoginnen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Bd. 1, Pfaffenweiler 1990, 256–263.
  • Wolfgang Klafki und Johanna-Luise Brockmann: Geisteswissenschaftliche Pädagogik und Nationalsozialismus. Herman Nohl und seine „Göttinger Schule“ 1932–1937. Eine individual- und gruppenbiografische, mentalitäts- und theoriegeschichtliche Untersuchung. Weinheim et al. 2002.
  • Wolfgang Klafki: Die gegenwärtigen Kontroversen in der deutschen Erziehungswissenschaft über das Verhältnis der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik zum Nationalsozialismus. Marburg 1998; http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1998/0003/k10.html (Zugriff: 19.6.2013).
  • Wolfgang Klafki und Helmut-Gerhard Müller: Elisabeth Blochmann (1892–1972). Erweiterter Katalog zur Ausstellung Elisabeth Blochmann (1892–1972). Die erste Professorin für Pädagogik an der Philipps-Universität. Marburg 1992.
  • Joachim W. Storck (Hg.): Martin Heidegger/Elisabeth Blochmann. Briefwechsel 1918–1969. Marbacher Schriften. 2. Aufl. Marbach am Neckar 1990.

Bilder

  • Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Horacio Portel. http://www.heideggeriana.com.ar/cartas/elisabeth_blochmann.htm (Stand: 7.10.2013). 
  • Dokumente: Bibliothek für bildungsgeschichtliche Forschung, Berlin.

Quelle: Friedemann Stengel (Hg.): Ausgeschlossen. Die 1933-1945 entlassenen Hochschullehrer der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Halle 2016, S. 29 - 39

Autorin: Judith Scherer

Weitere Bilder und Dokumente:

Dokument: Blochmann, Elisabeth Friederike Emma

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