Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Dehn, Günther Karl

Dehn, Günther Karl

geboren:18.4.1882 Schwerin
gestorben:17.3.1970 Bonn
Konfession:evangelisch
Vater:Oberpostdirektor

Dehn, Günther Karl

Praktischer Theologe, Pfarrer

Nur eine Woche nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 wurde Günther Dehn als einer der ersten Hochschullehrer der damals namenlosen Universität Halle am 13. April 1933 von seiner Professur beurlaubt und am 21. November 1933 aus dem Staatsdienst entlassen. Diese Entlassung war nicht in einer „nichtarischen“ Abstammung (§ 3) begründet, sondern weil er (nach § 4) wegen seiner „bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür“ bot, „jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat“ einzutreten. Bereits im Herbst 1932 war Dehn auf eigenen Antrag zu Studienzwecken beurlaubt worden. Seit seiner Berufung nach Halle zum 1. April 1931 war Dehn Gegenstand deutschlandweit geführter politischer Auseinandersetzungen geworden, die für das gesellschaftliche und kirchlich-theologische Scheitern der Demokratie im akademischen Deutschland am Ende der Weimarer Republik geradezu symptomatisch waren.

Dehn ist als viertes von sechs Kindern eines preußischen Oberpostdirektors in Schwerin geboren worden. Nach dem Abitur immatrikulierte er sich 1900 zunächst als Student der Philosophie in Berlin und wechselte dann nach Halle und Bonn, wo er das Fach Theologie erst mit hinzunahm und dieses dann erneut in Berlin mit dem Ersten Theologischen Examen abschloss. Nach seinem Lehrvikariat in der Neumark und in der Uckermark war er Adjunkt und Inspektor im Berliner Domkandidatenstift, nach dem Zweiten theologischen Examen auch Domhilfsprediger. Zwanzig Jahre lang, von 1911 bis 1931, wirkte Dehn als Pfarrer in der Reformationsgemeinde in Moabit, die etwa 10.000 vorwiegend der Berliner Arbeiterschaft entstammende Mitglieder umfasste. In dieser Zeit entwickelte Dehn sein theologisches und politisches Profil, das zunächst vor allem von seiner Beschäftigung mit dem Religiösen Sozialismus geprägt war. Nach dem Ersten Weltkrieg gründete er einen „Bund sozialistischer Kirchenfreunde“, von 1920 bis 1922 war er auch Mitglied der SPD, trat unter dem Einfluss der vor allem von Karl Barth repräsentierten kulturkritischen Dialektischen Theologie und seiner Ablehnung marxistischer Implikationen der sozialistischen Bewegung aus beiden aber bald wieder aus. Als an den Problemen der Arbeiterschaft orientierter, von Barths theologischem Ansatz angeregter und von Sympathien gegenüber dem Religiösen Sozialismus getragener Theologe gehörte er zu einer Minderheit der evangelischen Kirche in der Weimarer Republik, die er noch seiner Autobiographie als „antidemokratisch, antipazifistisch und 
selbstverständlich auch antisozialistisch“ betrachtete.

Während seines Berliner Pfarramts arbeitete er in der alternativen Jugendbewegung „Neuwerk“ mit und trat mit Publikationen über die soziale und religiöse Lage der großstädtischen proletarischen Jugend hervor. Dehn verband die Friedensfrage und die soziale Frage in einer gegen kulturprotestantisch liberale, konfessionelle, volkskirchliche und völkische Theologien gerichteten Konzeption.

1926 wurde ihm von der Evangelisch-Theologischen Fakultät Münster die theologische Ehrendoktorwürde verliehen. Ende 1930 erhielt Dehn einen Ruf an die Theologische Fakultät Heidelberg, wenig später stimmte die hallische Fakultät dem Vorschlag des preußischen Kultusministers Adolf Grimme zu, Dehn als Professor für Praktische Theologie zu nominieren. Während der noch laufenden Berufungsverhandlungen brachten deutschnationale Publizisten einen Vortrag in die Öffentlichkeit, den Dehn 1928 in Magdeburg unter dem Titel „Kirche und Völkerversöhnung“ gehalten hatte. Hier hatte Dehn unter anderem die Frage aufgeworfen, ob Kriegerdenkmäler in den Kirchen aufgestellt werden sollten. Der Soldatentod könne schließlich kaum mit dem „christlichen Opfertod“ parallelisiert werden. Ferner hatte er vorgeschlagen, anstelle der Militär- und Feldgeistlichkeit nur Zivilgeistliche im Heer wirken zu lassen, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung freizustellen sowie auf eine andere Völker abwertende Erziehung und auf Kriegsspielzeug zu verzichten. Die Unterstellung, Dehn habe in der anschließenden Diskussion alle Soldaten als Mörder bezeichnet, wurde in einem Disziplinarverfahren zwar nicht bestätigt. Der Slogan „Soldaten sind Mörder“ geriet aber in der nun im Zusammenhang mit den beiden Rufen an Dehn inszenierten Kampagne zu einem deutschlandweit bekannten Zitat, das Kurt Tucholsky als Hintergrund zu seinem Artikel „Der bewachte Kriegsschauplatz“ in der Weltbühne vom 4. August 1931 diente.

Kurz nach seiner Berufung nach Halle begann der NS-Studentenbund eine mit Flugblättern und Demonstrationen und schließlich gewalttätigen Ausschreitungen verbundene Kampagne gegen Dehn, in der der Vorwurf des vaterlandsfeindlichen Pazifismus und Marxismus mit offenem Antisemitismus verbunden wurde. Der „Fall Dehn“ weitete sich 1931 und 1932 zu einer universitäts- und deutschlandweiten Attacke gegen die demokratische preußische Regierung aus. Zeitweise wurde sogar die Schließung der Universität befürchtet. Die rechtsgerichtete Studentenschaft rief zum Boykott der Universität Halle auf und drohte mit dem Auszug aus der Stadt, falls Dehn, dessen Vorlesung angesichts randalierender Studierender anfangs unter Polizeischutz gestellt wurde, seine Lehrtätigkeit nicht aufgeben würde. Universität und Theologische Fakultät standen am Beginn der Auseinandersetzung noch für die akademische Lehrfreiheit Dehns ein und setzten sich gegen die nationalsozialistisch dominierte Studentenschaft zur Wehr. Seit Ende 1931 wurde Dehn jedoch auch innerhalb der Professorenschaft weitgehend isoliert, bis Senat und Fakultät beschlossen, bei der Regierung die Entfernung Dehns von der Universität zu beantragen. Exakt im Zusammenhang mit dem Fall Dehn und im Sinne der Rettung der Universität vor der vermeintlich von Dehn und der Weimarer Republik verursachten Schließungsbedrohung ist die Idee entstanden, der Universität den Namen Martin Luthers zu verleihen und damit den Ruf zu ersetzen, den die Universität durch die Auseinandersetzungen um Dehn in Deutschland erhalten hatte. Dehn empfand bereits Ende 1931 die Vorfälle in Halle als „Vorspiel kommender Ereignisse“, in denen ein „rein machtpolitisch orientierter Staat“ regieren werde. Die nicht etwa idealistische, sondern in ihrer Gottabgewandtheit dämonische Vaterlandsliebe der Studenten werde, so Dehn, „das Vaterland ins Verderben führen“.

Nach seiner Entlassung aus dem Staatsdienst mit erheblicher Pensionskürzung wurde Günther Dehn Mitglied der Bekennenden Kirche, arbeitete zunächst als Hilfsprediger , dann als theologischer Berater für die Weiterbildung der Vikare und wurde 1936 bis 1941 gegen politisch motivierte Bedenken unter anderem Martin Niemöllers Dozent für Praktische Theologie an der illegalen Kirchlichen Hochschule in Berlin. Von Mai 1941 bis Juli 1942 war Dehn in mehreren Berliner Gefängnissen inhaftiert. Nach seiner Entlassung erhielt er eine Pfarrstelle im württembergischen Ravensburg. Nach dem Krieg wurde er 1946 als Ordinarius für Praktische Theologie nach Bonn berufen, wo er  im Alter von 72 Jahren 1954 in den Ruhestand trat. Während Dehn an der Bonner Fakultät nach dem Zeugnis des dortigen Dekans von 1957 die „Mitte“ der Fakultät wurde, haben sich Universität und Theologische Fakultät Halle nach 1945 nicht um seine Rückberufung bemüht. Bei der von der Provinzialregierung Sachsen-Anhalts angeordneten „Gedenkfeier für die Verfolgten des Nazi-Regimes“ in der Aula der Universität am 13. September 1947 wurde Dehn im Gegensatz zu anderen entlassenen Hochschullehreren weder vom amtierenden Rektor Otto Eißfeldt noch von der Theologischen Fakultät erwähnt.

Dehns theologische Arbeit bewegte sich auf drei Feldern: in der Soziologie der proletarischen Jugend, wo er für die in den 1920er Jahren aufblühende Milieukunde beachtete Beiträge leistete, in der Homiletik und in der Kasualpraxis. Als theologisches Profil, das ihm als Rahmen diente, in dem er diese drei Felder zusammenführte, kann seine dezidiert kultur- und kirchenkritische Theologie gelten. Seine Wort-Gottes-Theologie wies trotz des Einflusses der Dialektischen Theologie starke lutherische Prägungen auf. Auch homiletisch verweigerte er sich einer am Kontext orientierten Verkündigung und forderte die Selbstexplikation des Evangeliums in den Kontext hinein. Kirchliches Handeln dürfe nicht von den Erwartungen der Gemeinde oder auch der Gesellschaft ausgehen und nicht anthropozentrisch buchstabiert werden. Angesichts der Erfahrungen des Ersten Weltkrieges, der in weiten Teilen des deutschnationalen Protestantismus geradezu zu einem Religionskrieg stilisiert worden war, warnte Dehn gemeinsam mit den Vertretern der Dialektischen Theologie vor jeder Ideologisierung des Evangeliums. Diese Haltung brachte Dehn auch zum Austritt aus der SPD und zu einer Distanzierung vom Religiösen Sozialismus, den er als erneute Verbindung des Christentums mit einer säkularen Ideologie betrachtete, obwohl er sein Anliegen, die kirchliche Solidarität mit den sozial Benachteiligten, unbedingt unterstützte und zugleich jede Form einer kultur- und staatstragenden Bürgerkirche ablehnte. Eine kleinbürgerlich verhaftete Kirche war wegen ihrer eigenen sozialen Selbstbindung aus Dehns Sicht nicht in der Lage, die  Herausforderungen der explosionsartig angewachsenen Arbeiterschaft überhaupt anzunehmen. Aus diesem Grund kritisierte er auch die politischen Auseinandersetzungen der Bekennenden Kirche im Nationalsozialismus, weil sie vielfach vom Bemühen um eigene „Belange“, nicht um das Wort Gottes geleitet gewesen seien. Dabei waren Dehns empirische Untersuchungen keinesfalls von Ignoranz gegenüber der Gesellschaft geprägt. Vor allem in seinen frühen Publikationen versuchte Dehn die Synthese zwischen einem empirischen, einem dezidiert kirchenkritischen und einem am Wort Gottes orientierten Ansatz.


Ausgewählte Publikationen von Günther Dehn

  • Der Gottessohn. Eine Einführung in das Evangelium des Markus. Berlin 1929 (als: Jesus Christus, Gottes Sohn 1940, 6. Aufl. 1953).
  • Die alte Zeit. Die vorigen Jahre. Lebenserinnerungen. München 1962 (2. Aufl. 1964). 
  • Die Amtshandlungen der Kirche. Stuttgart 1950. 
  • Proletarische Jugend. Lebensgestaltung und Gedankenwelt der großstädtischen Proletarierjugend. Berlin 1929 (3. Aufl. 1933).
  • Kirche und Völkerversöhnung. Dokumente zum Halleschen Universitätskonflikt (Hg.). Berlin 1931.

Quellen und Literatur

  • UAH PA 5296; Rep. 27, Nr. 384; 1318.
  • Raimund Hoenen: Günther Dehn (1882–1970) – Außenseiter für den Frieden. In: 500 Jahre Theologie in Wittenberg und Halle 1502–2002. Beiträge aus der Theologischen Fakultät Halle-Wittenberg zum Universitätsjubiläum 2002, hg. von Arno Sames. Leipzig 2003, 161–180.
  • Friedemann Stengel: Die Universität und ihr Name – Martin Luther. Kontexte der Verleihung 1933. In: KZG 26 (2013), Heft 2, 289–318.
  • Friedemann Stengel: Wer vertrieb Günther Dehn (1882–1970) aus Halle? In: ZKG 114 (2003), 384–403.
  • Eberhard Winkler: Günther Dehn – Leben und Werk. In: Berliner Theologische Zeitschrift 4 (1987), 68–81.
  • Eberhard Winkler: „Ich suchte die Kirche …, die weder säkular noch klerikal bestimmt ist“. In: Standpunkt 11 (1983), Beilage zum Heft 1, 18–21.

Bild aus:

  • Festschrift für Günther Dehn zum 75. Geburtstag am 18. April 1957 dargebracht von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich Wilhelms-Universität zu Bonn, hg. von Wilhelm Schneemelcher. Neukirchen 1957.

Dokumente: 

  • Flugblatt von Anfang Februar 1931: UAH Rep. 27, Nr. 1318.
  • Saale-Zeitung vom 9.10.1931.
  • Text aus Kirche und Völkerversöhnung. Dokumente zum Halleschen Universitätskonflikt, hg. von Günther Dehn. Berlin 1931, 89f.

Quelle: Friedemann Stengel (Hg.): Ausgeschlossen. Die 1933-1945 entlassenen Hochschullehrer der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Halle 2016, S. 75 - 84

Autor: Friedemann Stengel

Weitere Bilder und Dokumente:

Dokument: Dehn, Günther Karl

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