Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Fleischmann, Max

Fleischmann, Max

geboren:5.10.1872 Breslau
gestorben:14.1.1943 Berlin
Konfession:evangelisch, vorher mosaisch
Vater:Kaufmann

Fleischmann, Max

Staats- und Völkerrechtler

Max Fleischmann ist in Breslau als Sohn eines Kaufmanns geboren worden. Ursprünglich bekannte er sich zur mosaischen Religion, wechselte dann aber (kurz vor 1900) zum christlich-evangelischen Bekenntnis. Das Abitur legte er in seiner Geburtsstadt ab. Es folgte das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften sowie der Neueren Geschichte an der Universität Breslau. 1896 wurde er dort unter der Ägide von Moriz Wlassak mit einer Dissertation über ein römisch-rechtliches Thema zum Dr. iur. promoviert. Zwischen 1894 und 1898 absolvierte Fleischmann das Referendariat. Das Assessorexamen ermöglichte ihm 1900 eine Hilfsrichtertätigkeit am Landgericht Halle. Von 1905 bis 1910 war er als Amtsrichter in Halle tätig. In Halle erfolgte 1901 auch die Eheschließung mit der italienischen Juwelierstochter Anna Josefine verw. Möller, geb. Guglielmini. Kindersegen stellte sich nicht ein. 1902 erfolgte in Halle die Habilitation für Staats- und Verwaltungsrecht mit einer Arbeit über die preußische Gesetzgebung, die ihren Verfasser der Tradition des staatsrechtlichen Gesetzespositivismus zuordnen lässt. In seiner Antrittsvorlesung am 1. Mai 1902 über „Friderizianischer Sozialismus“ ging Fleischmann den sozialen Folgen aus dem Allgemeinen preußischen Landrecht (1794) nach und beleuchtete vor diesem Hintergrund vor allem die soziale und rechtliche Stellung der Frau. 1908 wurde ihm der Professorentitel verliehen. Gleichzeitig erhielt er einen Lehrauftrag für Kolonialrecht – eine Novität in der preußischen Hochschullandschaft. 1911 nahm er einen Ruf an die Universität Königsberg an, wo er beamteter außerordentlicher Professor wurde. Ein Herzfehler verhinderte den aktiven Kriegseinsatz im Ersten Weltkrieg. Während dieser Zeit wirkte er u.a. als Staatsanwalt in Königsberg. 1915 erfolgte seine Ernennung zum ordentlichen Professor an der Universität Königsberg. Zwischen 1917 und 1919 war Fleischmann Senatsvorsitzender und Vizepräsident des Reichsschiedsgerichts für die Kriegswirtschaft. Bei der Neuordnung der Vermögensverhältnisse zwischen dem Staat Preußen und der königlichen Familie 1919 war Fleischmann als Mitglied der entsprechenden Immediat-Ministerialkommission tätig. In diesem Zusammenhang steht sein Rechtsgutachten „Zur Frage des Rechts an den Domänen in Hohenzollern“.

1921 nahm er einen Ruf auf die Nachfolge Otto Koellreutters, der nach Jena gegangen war, in Halle an. Ihm wurde am 1. April 1921 ein persönliches Ordinariat verliehen. Kurze Zeit später wurde er planmäßiger Ordinarius (in der Nachfolge von Kurt Wolzendorff).

In Halle gründete er ein Institut für Zeitungswissenschaften, was ihm einen gewissen Platz in der Geschichte des Journalismus einbrachte. 1925/26 war er Rektor der Universität Halle. In seiner Rektoratsrede „Die Einwirkung auswärtiger Gewalten auf die deutsche Reichsverfassung“ vom Juli 1925 kritisierte er die Verfassungsordnung der Weimarer Republik. Darin wandte er sich u.a. gegen die Allgemeinverbindlichkeit des Völkerrechts als Teil des innerstaatlichen deutschen Rechts und bedauerte den Verlust der deutschen Kolonien in Übersee. Diese und andere Aussagen entwickelte Fleischmann weiter in seiner Rede anlässlich der Reichsgründungsfeier am 18. Januar 1928 unter dem Titel „Deutsches Verfassungserbgut von Reich zu Reich“. Darin untermauerte Fleischmann, getragen von einer unübersehbaren Bismarck-Verehrung, seine Überzeugung von der Kontinuität des Deutschen Kaiserreichs und der Weimarer Republik. In diese  Verkoppelung ordnet er auch die historisch überkommene föderale Struktur Deutschlands ein, stellt aber die kleinsten Staaten des Reiches in Frage. Eine gewisse Summe seiner Sicht auf das Verhältnis von Unitarismus und Föderalismus liefert die Studie „Die völkerrechtliche Stellung des Reichs und der Länder“ im Handbuch des deutschen Staatsrechts (1930).

Mit Blick auf den 200. Todestag von Christian Thomasius 1928 engagierte sich Fleischmann für ein populäres wie akademisches Andenken an den geistigen Gründungsvater der Universität Halle (Gedenkrede im Dezember 1928 in der Aula; Gründung der Christian-Thomasius-Stiftung). Er hat sich um die Christian-Thomasius-Forschung international verdient gemacht. Sein 1931 erschienener Sammelband „Christian Thomasius. Leben und Lebenswerk“ (Neudruck 1979) sollte enorme Wirkung entfalten. Diese Aufsatzsammlung ist bis heute in der Forschung unverzichtbar.

Der renommierte Völkerrechtler Fleischmann vertrat das Reich und Preußen mehrfach bei nationalen und internationalen Rechtsstreitigkeiten sowie 1930 bei der Haager Konferenz für die Kodifikation des Völkerrechts.

Als Universitätspolitiker und Rektor sah er die Entwicklung der Universität Halle kritisch. In einer Senatsrede (gedruckt 1927) formulierte er die Gefahr des Niedergangs im Vergleich mit anderen Universitäten. Viel versprechende Berufungen seien gescheitert, zukunftsorientierte Institutsgründungen hätten nicht stattgefunden, preiswerte wie attraktive Studentenwohnungen würden nicht zur Verfügung stehen, viel zu wenige „Töchter“ (weibliche Studierende) würden der Alma mater anvertraut werden. Regelmäßig und nachdrücklich forderte Fleischmann entsprechende Engagements, um diese Lage zu verbessern.

Die 1933 eingetretenen Verhältnisse stellten Fleischmann vor eine neue Situation. Zunächst wurde ihm das Gehalt gekürzt. Am 7. September 1935 verlor er auf der Grundlage des „Gesetzes über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern aus Anlaß des Neuaufbaus des deutschen Hochschulwesens vom 21.01.1935“ seine Lehrbefugnis. Dem folgte im Dezember 1935 die Mitteilung des Kurators, dass Fleischmann auf der Grundlage von § 4 der ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935 in den Ruhestand versetzt sei. Fleischmann widersprach mit professionellen rechtlichen Argumenten und der Kurator musste daraufhin einräumen, dass Fleischmann nicht der Verordnung unterfiele, aber doch von seinen Verpflichtungen entbunden bliebe.

1941 ging Fleischmann nach Berlin. Dort verkehrte er u.a. mit dem ehemaligen Reichsjustizminister Eugen Schiffer (Ehrendoktor der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät Halle 1928). In dessen Wohnung in Berlin-Charlottenburg wählte Fleischmann am 14. Januar 1943 den Freitod, um der von ihm akut befürchteten Deportation zu entgehen.

Nach Wahrnehmungen des ehemaligen hallischen Jurastudenten und späteren Bundesverfassungsrichters Fabian von Schlabrendorff soll Fleischmann in Berlin im Kontakt zu Widerstandskreisen gestanden haben. In diesem Kontext soll er auch einen Verfassungsentwurf für die Zeit nach Hitlers Ende erarbeitet haben. Authentische Quellen gibt es dazu jedoch nicht.

Fleischmann gehört zu den namhaften Völkerrechtlern seiner Zeit. Schon 1905 hatte er eine viel beachtete und gelobte Quellensammlung („Völkerrechtsquellen in Auswahl“) herausgegeben. 1910 ist er unter anderem durch ein Gutachten über „Zwangsvollstreckung gegen fremde Staaten und Kompetenzkonflikt“, dem ein konkreter Rechtsfall zugrunde liegt, bekannt geworden. Ferner gehörte er als Vertreter des Deutschen Reiches der Haager Konferenz für die Kodifikation des Völkerrechts an. Von 1915 bis 1932 war Fleischmann Mitherausgeber der „Zeitschrift für Völkerrecht“. Er wird in der „Geschichte des öffentlichen Rechts“ von Michael Stolleis oft genannt. Für die in der Weimarer Republik diskutierte Konzeption „Mitteldeutschland“ ist sein Aufsatz relevant: Rechtsfragen bei der Einrichtung eines mitteldeutschen Wirtschaftsgebietes, in: Mitteldeutschland auf dem Wege zur Einheit. Denkschrift, Merseburg 1927, 2. Teil, 79–111. Seine kolonialrechtlichen Schriften weisen teilweise am Rassenbild der Zeit angelehnte Züge auf. Die staats- und verwaltungsrechtlichen sowie  völkerrechtlichen Werke sind demgegenüber überparteilich und neutral-sachlich. In einer noch in Halle angefertigten Untersuchung „Über den Einfluß des römischen Rechts auf das deutsche Staatsrecht“ (1908) relativiert er die These, dass die Rezeption des römischen Rechts auf dem Gebiet des deutschen Staatsrechts nicht stattgefunden hatte. Angesichts des heute (2013) in den Schulen fest verankerten Fachs „Rechtskunde“ fällt Fleischmanns Plädoyer für die Einführung des Rechtsunterrichts an den Gymnasien „Aus der Frühzeit der Bürgerkunde an höheren Schulen“ (1913) ins Auge.

Fleischmann war nach dem Zeugnis seines zeitweiligen Fakultätskollegen Guido Kisch in einem hohen Maß eitel und ehrgeizig. Bei den Studenten soll er sehr beliebt gewesen sein.

In einer nationalsozialistisch-antisemitischen Schrift von 1938 wird Fleischmann als Repräsentant jüdischer Einflüsse auf die Völkerrechtslehre behandelt.


Ausgewählte Publikationen von Max Fleischmann

  • Die Verpflichtung zur Auslieferung aus den Kolonien seitens der Kolonialstaaten untereinander, Verhandlungen des deutschen Kolonialkongresses 1905. Berlin 1906.
  • Wörterbuch des deutschen Staats- und Verwaltungsrechts, hg. von Max Fleischmann und Karl Freiherr von Stengel. 3 Bde., 2. Aufl. Tübingen 1911–1914. 
  • Die Einwirkung auswärtiger Gewalten auf die deutsche Reichsverfassung. Halle 1925. 
  • Franz von Liszt: Das Völkerrecht systematisch dargestellt. 12. Aufl., bearb. von Max Fleischmann. Berlin 1925.
  • Christian Thomasius. Leben und Lebenswerk. Abhandlungen und Aufsätze. Halle 1931 (Neudruck Aalen 1979).

Literatur

  • Eberle 288f.
  • Helmut Heinrichs u.a. (Hg.): Deutsche Juristen jüdischer Herkunft. München 1993, 182.
  • Dietrich Goldschmidt: Eugen Schiffer (14.02.1860 – 05.09.1954). Ein Leben für liberale Politik und volksnahes Recht. In: Walter Pauly (Hg.): Hallesche Rechtsgelehrte jüdischer Herkunft. Köln u.a. 1996, 69–92, hier: 75.
  • Horst Göppinger: Juristen jüdischer Abstammung im „Dritten Reich“. Entrechtung und Verfolgung, 2. Aufl., München 1990, 133, 231, 384, 388. 
  • Rolf Lieberwirth: Der Lehrkörper der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zwischen den beiden Weltkriegen. In: ebd., 28; Walter Pauly: Max Fleischmann (1872–1943) und das Öffentliche Recht in Halle. Zugleich ein Beitrag zur Thomasius-Rezeption an der Vereinigten Friedrichs- rsp. Martin-Luther-Universität. In: ebd., 33–52.
  • Michael Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Bd. 3, München 1999, 63, 120, 137, 173, 187, 272, 381, 386, 392 passim.

Bild: als Rektor 1925/26 (UAH).

Quelle: Friedemann Stengel (Hg.): Ausgeschlossen. Die 1933-1945 entlassenen Hochschullehrer der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Halle 2016, S. 85 - 91

Autor: Heiner Lück

Weitere Bilder und Dokumente:

Dokument: Fleischmann, Max

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