Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Frankl, Paul

Frankl, Paul

geboren:22.4.1878 Prag
gestorben:30.1.1962 Princeton, New Jersey
Konfession:katholisch
Vater:Kaufmann

Frankl, Paul

Kunsthistoriker

Paul Frankl wurde als Sohn eines Kaufmanns geboren. Nach dem Abitur an dem Deutschen Staats-Obergymnasium absolvierte der das Freiwillingenjahr in der österreichischen Armee. Ab dem Wintersemester 1897/98 studierte er an der Technischen Hochschule (TH) in Prag und setzte das Studium im darauffolgenden Sommersemester in München fort. Nach dem Vorexamen wechselte Frankl nach Berlin und studierte dort an der TH Berlin-Charlottenburg Architektur und Geisteswissenschaften. Von 1905 bis 1907 arbeitete er als Architekt im Münchner Büro von Karl Hocheder. Mit seiner inzwischen gegründeten Familie siedelte er nach München über. Seine architektonische Tätigkeit musste Frankl allerdings bald aufgrund einer Erkrankung an Gelenktuberkulose in der Schulter mit Operation aufgeben. Er begann das Studium der Kunstgeschichte und ferner der Philologie sowie der Frühgeschichte. Im Juni 1910 schloss er das Studium mit der Promotion bei Berthold Riehl ab. Das Thema der Dissertation lautete: „Beiträge zur Geschichte der süddeutschen Glasmalerei im 15. Jahrhundert“.

Aufgrund seiner Schultergelenkserkrankung konnte Frankl nicht am Ersten Weltkrieg teilnehmen. Er habilitierte sich im ersten Kriegsjahr in München bei Heinrich Wölfflin mit der Arbeit „Die Entwicklungsphasen der neueren Baukunst“, die bereits im selben Jahr publiziert wurde, und hatte seit dem April 1914 den Status eines Privatdozenten inne. Von 1916 an arbeitete er an dem „Handbuch der Kunstwissenschaften“ mit, und 1920 wurde Frankl zum außerordentlichen Professor in München ernannt. Allerdings erging bereits in diesem Jahr aus Halle ein Ruf an ihn. Und seit November 1920 hat Frankl den Lehrstuhl für mittlere und neuere Kunstgeschichte inne, ist ferner Institutsdirektor und Leiter der Kupferstichsammlung. In dieser Zeit beschäftigte er sich unter anderem mit Fragen des gotischen Stils und steuerte einen beachteten Beitrag zur 1924 erschienenen Festschrift seines Lehrers Heinrich Wölfflin bei. Ab 1926 ist Frankl überdies als Gastdozent an der Staatlichen Hochschule für Handwerk und Baukunst in Weimar tätig – der Nachfolgeinstitution des ehemaligen Staatlichen Bauhauses, das 1925 aufgrund politischer Umstände nach Dessau umziehen musste. Auf dem 1927 in Halle ausgerichteten 3. Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft sprach er in programmatischer Weise über „Die Rolle der Ästhetik in der Methode der Geisteswissenschaften“ und brachte das Systematische seines Ansatzes zur Geltung.

Frankl hat sich an der Universität in Halle hochschulpolitisch engagiert und war 1932/33 Dekan der Philosophischen Fakultät. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Frankl zunächst am 29. April 1933 mit sofortiger Wirkung beurlaubt, im Oktober zwar ins Amt zurückgeholt, dann aber am 27. März 1934 nach § 6 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums endgültig in den Ruhestand versetzt. Frankl nahm als Reaktion darauf in einem bewegenden Brief vom 22. Mai 1934 Abschied von der Fakultät. Dabei hielt er einen sich später tatsächlich erfüllenden Wunsch fest:

„Sollte ich das Glück erleben, in einem fremden Lande erneut als Lehrer an einer Universität wirken zu dürfen, dann würde ich dort deutsche Wissenschaft anpflanzen. Man kann mir vieles nehmen, aber die deutsche Wissenschaft nicht. Durch sie hindurch werde ich innerlich bis an mein Ende mit der Hallenser Fakultät und meinem einst frei gewählten Vaterland, dem alten Deutschland, verbunden bleiben.“

Frankl wurde durch die Ereignisse gesundheitlich stark angegriffen und zog sich nach München zurück, wo er in bescheidenden Verhältnissen mit seiner Familie lebte, unterbrochen von einer kurzzeitigen Lehrtätigkeit in Istanbul. In diesen Jahren unternahm er es, eines der bemerkenswertesten kunsthistorischen Bücher des 20. Jahrhunderts zu schreiben, das 1938 noch an der Peripherie des gleichgeschalteten Wissenschaftsbetriebs erscheinen konnte: „Das System der Kunstwissenschaft“. Auf über 1000 Seiten versucht Frankl darin eine systematische Kunstgeschichte in morphologisch-phänomenologischer Hinsicht mit theoretischen Überlegungen etwa zu den Kategorien des Stils, die aus der Rückschau sowohl angesichts der überbordenden Fülle der Gesichtspunkte als „undurchsichtig“ wie hinsichtlich der Rezeption als folgenlos erkannt wurde (Paul Crossley). „Das System der Kunstwissenschaft“ stellt als monolithischer Block noch heute eine kaum angenommene Herausforderung für das Fach Kunstgeschichte dar.

Aufgrund der antijüdischen Verfolgungspolitik des NS-Regimes entschloss sich Frankl nach der Reichspogromnacht auf einer Vortragsreise in den USA 1938 zum Schritt ins Exil. Dabei wurde er von dem deutschen Kunsthistoriker und Museumsmann Wilhelm Reinhold Valentiner maßgeblich unterstützt. 1940 wurde Frankl, unter anderem auf Betreiben des renommierten Kunsthistorikers Erwin Panofsky, zum Mitglied des berühmten Institute for Advanced Study in Princeton/New Jersey gewählt – dem unerreichbaren Vorbild aller heutigen Bemühungen um Exzellenz. In den USA widmete sich Frankl, wohl nicht zuletzt aufgrund der notwendigerweise ausbleibenden Reaktionen auf seinen System-Versuch, wieder intensiv dem Phänomen der Gotik. An den Bauwerken selbst und vor dem Hintergrund metaphysischer Sichtweisen sollten die bestimmenden Prinzipien der Epoche erschlossen werden.

Paul Crossley hat in seiner scharfsichtigen Analyse der Gotik-Forschungen Frankls auf den bemerkenswerten Umstand hingewiesen, dass der Forscher zum vielleicht bedeutendsten und kaum zu übertreffenden Giganten der Gotik-Forschung mit bleibenden Verdiensten avancieren konnte, obwohl – oder vielleicht weil – er auf methodisch unzureichender Grundlage operierte und indem er einen von Hegel abgeleiteten Historismus des 19. Jahrhunderts mit intensivsten Einzelanalysen verschmolz. Von seinem Lehrer Wölfflin leitete er sich antithetische Grundbegriffspaare ab (zum Beispiel die schon 1914 benutzte Gegenüberstellung von additiver und divisiver Raumauffassung, um Romanik und Gotik voneinander zu scheiden, oder mit demselben Ziel: Struktur vs. Textur, Totalität vs. Partialität) und erkor auf der Grundlage von Max Dvořáks „Kunstgeschichte als Geistesgeschichte“ Jesus Christus zum archimedischen Punkt der mittelalterlichen, „gotischen“ Gesellschaft.

Während des Krieges unterrichtete Frankl auch kurze Zeit an der Yale University und genoss den Ruf eines anspruchsvollen, aber enorm bereichernden Lehrers, wie etwa Gert von der Osten befand:

„Er war in seinem Seminar ein Diskutierer, unermüdlich und milde. Er war großzügig. Er übte die maieutische Methode, das Hebammen-Verfahren, das Plato an seinem Lehrer rühmt. Er war nicht orthodox, aber großartig unbequem, weil er nicht alles gleich gelten ließ, sondern wußte, was er meinte. Er war unbeirrbar. Er war ein sokratischer Kopf und sah auch so aus.“

Nach dem Untergang des „Dritten Reiches“ kehrte Frankl trotz seiner persönlichen Erfahrungen 1948 für zwei Jahre mit einem Guggenheim-Stipendium nach Deutschland zurück und nahm eine Gastprofessur in Berlin wahr. Nachdem er als Emigrant im Zusammenspiel mit Erwin Panofsky maßgeblich dazu beigetragen hatte, die weltweit führende deutsche kunsthistorische Wissenschaft in den USA zu implementieren, war er mit einer nicht selbstverständlichen Geste bereit, die von den Nationalsozialisten verratenen Vorstellungen und Werte dieser Wissenschaft wieder nach Deutschland zurückzutragen. Am 30. Januar 1962 ist Paul Frankl in Princeton/NJ gestorben, dem Jahr, in dem sein Standardwerk zur Gotik als Band der renommierten Pelican History of Art posthum veröffentlicht wurde.


Ausgewählte Publikationen von Paul Frankl

  • Die Glasmalerei des Fünfzehnten Jahrhunderts in Bayern und Schwaben. Straßburg 1912 (Dissertation München 1910).
  • Die Entwicklungsphasen der neueren Baukunst. Leipzig; Berlin 1914 (Habilitationsschrift München 1914; Neuausgabe Berlin 1999).
  • Der Beginn der Gotik und das allgemeine Problem des Stilbeginns. In: Festschrift für Heinrich Wölfflin. München 1924, 107–124.
  • Das System der Kunstwissenschaft. Brünn; Leipzig 1938 (Neuausgabe mit einem Nachwort von Heinrich Dilly, Berlin 1998).
  • Gothic Architecture. Harmondsworth/Middlesex 1962 (Neuausgabe hg. von Paul Crossley, New Haven/Connecticut; London 2000).

Quellen und Literatur

  • UAH, Rep. 21, Nr. 58.
  • Gert von der Osten: Paul Frankl. In: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 24 (1962), 7–14, hier: 11.
  • Heinrich Dilly: Akten betreffend den ordentlichen Professor in der philosophischen Fakultät Dr. phil. Paul Frankl 1. Juli 1934 in den Ruhestand versetzt. In: P.F.: Das System der Kunstwissenschaft. Berlin 1998, 1–26 (Nachwort zur Neuausgabe von 1938).
  • Ulrike Wendland: Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil. Leben und Werk der unter dem Nationalsozialismus verfolgten und vertriebenen Wissenschaftler. 2 Bde., München 1999, hier: Bd. 1, 152–157.
  • Paul Crossley: „The Soldier of Science“. Paul Frankl and the Gothic Cathedral. In: Magistro et Amico amici discipulique. Festschrift zum 80. Geburtstag von Lech Kalinowski. Krakau 2002, 22–34 (gekürzt in: 100 Jahre Kunstgeschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Personen und Werke, hg. von Wolfgang Schenkluhn, Halle 2004, 71–82).
  • Ästhetische und kulturphilosophische Denkweisen. III. Abteilung: Philosophen des 20. Jahrhunderts. Bd. 4.2: Paul Frankl, Emil Utitz, Johann von Allesch, Wilhelm Worringer. Halle 2004, 7–50.

Bild: aus dem Bildarchiv des Instituts für Kunstgeschichte und Archäologien Europas, Halle.


Dokument

Sinn und Form der Wissenschaft

(Noologie und Morphologie der Wissenschaft)

Die Wissenschaft ist nicht entweder Sinn oder System, sondern Sinn in Form des Systems. Die Einzelwissenschaft behandelt ein Sondergebiet von Sinn. Die Wissenschaft überhaupt ist das System der Erkenntnis der gesamten Wirklichkeit. Im Begriff System ist enthalten, daß die Wissenschaft formal auf die Möglichkeit, die Existenzfähigkeit sich richtet, aber ihre sinnhafte Seite ist die Wirklichkeit.

Vermutlich werden die meisten gegen eine solche Begriffsbestimmung der Wissenschaft, solange von Logik und Mathematik, vielleicht auch noch von Physik und Chemie die Rede ist, nichts einwenden. Aber bei den Geisteswissenschaften, vollends bei der Geschichte, lehnt man Systematik und System ab. Nur bedenke man, daß A = A ist, und daß dies auch für den Begriff der Wissenschaft gilt. Man kann nicht eine Definition für die Wissenschaft dieser Disziplin, eine für die jener Disziplin aufstellen; es gibt rein formal nur eine einzige Wissenschaft, sinnhaft viele Zweige, aber alle sind, wenn Wissenschaft, dann systematisch. Die Frage, ob Geisteswissenschaft und Geschichtswissenschaft systematisch sein müssen, ist nicht zu verwechseln mit der, ob der Geist und die Geschichte systematisch sind. Sie sind es nicht. Aber um das Ungeordnete als ungeordnet zu begreifen, bedarf man des Bezugssystems der Ordnung. Was das für die Kunstwissenschaft einschließlich der Kunstgeschichte und der Geistesgeschichte überhaupt besagt, wird sich am Schluß des Buches ergeben. Vielleicht drücken sich die Gegner einer Systematik in der Geisteswissenschaft und Geschichte ungenau aus, vielleicht meinen sie, daß es hier nicht auf die Form, also nicht auf das System ankommt, weil das Wesentliche der Sinn ist. Sinn ist immer irrational, d.h. unter ratio versteht man eben die Kraft des Verstandes: a priori Sinn zu formen; der zu formende Sinn kann aber nur (wie an der dieses Spitze Buches gesagt ist) entdeckt, d.h. durch die Vernunft „vernommen“ werden. Geformter Sinn ist durchsichtiger als ungeformter, aber der ungeformte, mangelhaft oder irrig geformte Sinn ist auch Sinn. Deshalb verstehen wir alle Lüge, allen Irrtum im „Leben“, alles positiv Irrationale in der Geschichte trotz ihrer inneren Widersprüche. Dieser in sich widerspruchsvolle Sinn aber hat auch seine Art Richtigkeit. Es gibt nicht nur eine formale Richtigkeit, z. B. im Satz a ist b (daß ich das so zu Ende denken kann, ohne in Widerspruch zu geraten), sondern auch eine noologische Richtigkeit, z. B. im Satz: „der Mond ist ein Trabant“, im Gegensatz zum Satz „der Mond ist ein Fisch“. Ich würde es verstehen, wenn von hier aus schone Axiomatik der Noologie gefordert würde, wie man sie für die Morphologie fordern muß. Aber ich sehe in den Sinnvarianten durchwegs Erfahrung (a posteriori). Nur das Morphologische ist a priori. Die Natur, die gesamte Wirklichkeit, ist ihrem Sinn nach irrational, ihrer Form nach rational. Der Raum ist nicht a priori, auch nicht die Zeit, nur ihre Form sind a priori. Eine Axiomatik der Noologie scheint mir daher zunächst mit den obersten Sätzen (Definitionen) der einzelnen Sonderdisziplinen identisch.

Die Sonderdisziplinen unterscheiden sich voneinander durch ihren Gegenstand, die „jeweilige Sache“. Die Naturwissenschaften haben alle Sinn nullter und erster Sinndimension zum  Gegenstand, die Geisteswissenschaften allen Sinn zweiter und dritter Sinndimension. Die Formwissenschaften behandeln die Form als solche. [...]

Die folgende Systematik hat dauernd ihr Ziel in der Klärung der Kunstwissenschaft, dies gilt auch dort, wo scheinbar von Kunst und Kunstwissenschaft gar keine Rede ist; denn man muß die  Vorhöfe durchschritten haben, um an die Geheimnisse zu gelangen. Daß die Vorhöfe besonders im Anfang trocken sind, ist nicht meine Schuld, es liegt im Wesen des Systems, das vom Abstraktesten ausgehen muß und schrittweise sich dem Konkreten nähert – immer mit der Pflicht, bei jedem Schritt alles erledigt zu haben, was an dieser Stelle sich erledigen läßt. Dann bleiben im Abschälen des Allgemeinen zuletzt die Kernprobleme allein übrig, man kann sich ihnen zuwenden ohne die Sorge, daß im Rücken noch ungelöste Probleme wie uneingenommene Festungen hinter der Kampflinie liegen. Wohl weiß ich, daß für den Durchschnittskunstwissenschaftler es eine starke Zumutung bedeutet, sehr lange warten zu müssen, bis er merkt, daß die scheinbar abliegenden Fragen ihn ganz nahe angehen, aber ich hoffe, daß man die Notwendigkeit dieses Weges einsehen wird und die Mühe des Mitdenkens zuletzt sich lohnt.“

Paul Frankl: Das System der Kunstwissenschaft. Brünn; Leipzig 1938
(Neuausgabe Berlin 1998), 63–66


Quelle: Friedemann Stengel (Hg.): Ausgeschlossen. Die 1933–1945 entlassenen Hochschullehrer der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Halle 2016, S. 93–99

Autor: Olaf Peters

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