Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Grell, Heinrich

Grell, Heinrich

geboren:3.2.1903 Lüdenscheid
gestorben:21.8.1974 Berlin
Konfession:evangelisch-uniert
Vater:Metzgermeister

Grell, Heinrich

Mathematiker

Heinrich Grell, 1903 in Lüdenscheidt als Sohn eines Metzgermeisters geboren, besuchte das Gymnasium seiner Heimatstadt und legte dort 1922 das Abitur ab. Es schloss sich in den Jahren von 1922 bis 1927 ein Studium der Mathematik, der Physik und der Astronomie an der Universität Göttingen an.

Noch während seiner Studentenzeit fand er Anschluss an die Arbeitsgruppe der Algebraikerin Emmy Noether (1882–1935) und wurde in die dortigen Forschungen zu Ring- und Körpertheorie einbezogen. Viele der Schüler Emmy Noethers, darunter auch Heinrich Grell, berichteten von dem so bemerkenswerten Arbeitsklima, in dem sie die Faszination mathematischer Forschungsarbeit an junge Nachwuchswissenschaftler weiterzugeben vermochte. Die besondere kreative Arbeitsatmosphäre, die die Gruppe Emmy Noethers auszeichnete, war ausschlaggebend auch für Heinrich Grells weitere wissenschaftliche Orientierung: Unter Anleitung und Betreuung von Emmy Noether verfasste er seine Dissertationsschrift zum Thema „Beziehungen zwischen den Idealen verschiedener Ringe“. 1926 wurde er an der Universität Göttingen promoviert.

Seiner Doktormutter bewahrte Heinrich Grell Zeit seines Lebens hochachtungsvolle Verbundenheit – insbesondere und ganz selbstverständlich auch dann, als ihr, ihrer jüdischen Herkunft wegen, 1933 auf Grund des § 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums ihre Berufs- und damit auch die Lehrerlaubnis entzogen worden war. Emmy Noether emigrierte daraufhin in die USA. „Nie hat er seine mittlerweile verfemte Lehrerin Emmy Noether verleugnet. Immer war er bemüht, die Schönheiten der Noetherschen modernen Idealtheorie der akademischen Jugend nahezubringen […]“, schreibt Max Pinl in seinem Buch „Kollegen in dunkler Zeit“ über Heinrich Grell.

Von 1927 bis 1928 war Heinrich Grell zunächst als Hilfsassistent am Mathematischen Institut der Universität Göttingen tätig, dann als Stipendiat der Notgemeinschaft Deutsche Wissenschaft.

Es folgte von 1928 bis 1930 eine wissenschaftliche Assistenz am Mathematischen Institut der Universität Jena. In die Jenenser Zeit Heinrich Grells fielen erste wissenschaftliche Kontakte mit dem führenden Algebraiker Helmut Hasse (1898–1979), der von 1925 bis 1930 den Lehrstuhl für Mathematik an der Universität Halle innehatte. Helmut Hasse widmet in seinen wissenschaftlichen Tagebüchern unter dem Datum Februar 1929 unter dem Titel „Normentheorie in Ringen“ einen Abschnitt seiner Beschäftigung mit Heinrich Grells Arbeiten. Diese wissenschaftlichen Kontakte mögen Grells spätere Entscheidung, an die Universität Halle zu gehen, vorbereitet haben.

1930 habilitierte sich Heinrich Grell an der Universität Jena mit der Schrift „Verzweigungstheorie in beliebigen Ordnungen algebraischer Zahl- und Funktionskörper“ und nahm von 1930 bis 1934 einen Lehrauftrag für Mathematik an der Universität Jena wahr.

Zum 1. Mai 1933 wurde Heinrich Grell Mitglied der NSDAP und übernahm die Aufgaben des Bezirksleiters für Wissenschaft der Dozentenschaft der Universität Jena. Seine Mitgliedschaft in der SA datiert auf die Jahre 1933 (Scharführer im SA-Segelfliegersturm Jena) und 1934 (Übertritt zum SA-Motorfliegersturm).

1934 erfolgte seine Umhabilitierung an die Universität Halle und die Erteilung eines Lehrauftrags für Analysis und analytische Geometrie durch die dortige Universität.

„Wahrheitsliebe erscheint Diktatoren und ihren Machthabern stets als unbequem.“ Mit diesen Worten ordnet Max Pinl in seinem Buch „Kollegen in dunkler Zeit“, die im Jahr 1935 erfolgte Verhaftung Heinrich Grells mit der Anklage des Verstoßes gegen § 175 StGB ein.

Pinl setzt fort:

„Nach seiner Verhaftung verlangte H. Grell, vor ein öffentliches Gericht gestellt zu werden. Die bezeichnende Antwort des Kommissars lautete: ‚Das könnte Ihnen so passen!‘ Nach Monaten Konzentrationslager wurde er mit dem Verbot jeglicher akademischer Tätigkeit entlassen.“

Dies geschah im September 1935: Amtsenthebung und Entzug der Lehrbefugnis nach § 18 der Reichshabilitationsordnung.

Die folgenden Jahre (Herbst 1935 bis 1939) bedeuteten für Heinrich Grell Arbeitslosigkeit und einzelne kurzzeitige Beschäftigungen durch Gelegenheitsarbeiten.

Erst 1939 gelang es ihm, eine Anstellung zu finden. Von 1939 bis 1944 hatte er die Funktion eines Arbeitsgruppenleiters im Entwicklungsbüro der Messerschmitt-AG in Augsburg inne. 1944 bis 1945 war er als Mathematiker beim Reichsforschungsrat Erlangen tätig.

Nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges war er bis 1948 als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Erlangen und an der Hochschule Bamberg beschäftigt.

Max Pinl berichtet:

„Spät erfolgte seine Rehabilitierung durch die Professur an der Humboldt-Universität seit 1953 [die Berufung zum Professor mit Lehrauftrag an die Humboldt-Universität war bereits 1948 erfolgt] und die Ernennung zum korrespondierenden Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1962.“

Sein weiterer beruflicher Lebensweg war durch die Übernahme leitender Positionen im Bereich der Mathematik auf dem Territorium der DDR gekennzeichnet:

Von 1953 bis 1959 übernahm Heinrich Grell die Aufgaben des Fachrichtungsleiters für Mathematik an der Humboldt-Universität Berlin.

Im Zeitraum von 1959 bis 1962 war er Geschäftsführender Direktor am Institut für Reine Mathematik der Deutschen Akademie der Wissenschaften, von 1964 bis 1972 der stellvertretende Generalsekretär dieser Akademie.

Ab 1948 war er gemeinsam mit Erhard Schmidt (1876–1959) und weiteren Mathematikern Herausgeber der Zeitschrift „Mathematische Nachrichten“. 1960 erhielt Heinrich Grell den Vaterländischen Verdienstorden der DDR in Silber. 1962 gehörte er zu den Begründern der Mathematischen Gesellschaft der DDR.

Seine Forschungsarbeiten dieser Jahre bis zu seiner Emeritierung 1968 lagen im Bereich der kommutativen Algebra und Idealtheorie. Sie fanden national und international Beachtung und Anerkennung. Als Begründer der Berliner Algebraiker-Schule, aus der etliche der führenden Algebraiker der DDR hervorgegangen sind, blieb er seinem durch Emmy Noether einst geweckten Wunsch der bestmöglichen Förderung der akademischen Nachwuchses treu.


Ausgewählte Publikationen von Heinrich Grell

  • Zur Verzweigungstheorie in maximalen Ordnungen Dedekindscher hyperkomplexer Systeme und in allgemeinen Ordnungen algebraischer Zahlen- und Funktionskörper. In: Jber. DMV 39 (1930), 17–19.
  • Verzweigungstheorie in allgemeinen Ordnungen algebraischer Zahlkörper. In: Math. Z. 40 (1935), 629–657.
  • Modulgruppen und Inversionen bei primären Integritätsbereichen. In: Math. Nachr. 4 (1951), 392–407.
  • Allgemeine und Elementquotientenringe in endlichen algebraischen Zahlkörpern. In: Sammelband zu Ehren des 250. Geburtstages Leonhard Eulers. Berlin 1959, 130–138.

Quellen und Literatur

  • UAH PA 6887; Rep. 6 Nr. 1407.
  • Heinrich Grell 3.2.1903 – 21.8.1974 (Nachruf). In: Mathematische Nachrichten 65, 1975, 5–6.
  • Lothar Budach: Prof. Dr. Heinrich Grell (3.2.1903 – 21.8.1974). In: Mitt. Math. Ges. DDR 1974, No. 3 (1974), 5–8.
  • Max Pinl: Kollegen in dunkler Zeit. Teil III. Jahresbericht DMV, Band 73, Heft 4, 154–155.
  • Annette Vogt: Grell, Heinrich. In: Jochen Černý (Hg.): Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Bd. 1, Berlin 2010.
  • Harry Waibel: Diener vieler Herren : Ehemalige NS-Funktionäre in der SBZ/DDR. Frankfurt a.M. 2011.

Bild: Mit freundlicher Genehmigung des Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach gGmbH. Oberwolfach Photo Collection, Foto Nr. 1427.

Dokument: Vorwort Heinrich Grells zu dem von ihm 1954 beim Deutschen Verlag der Wissenschaften Berlin herausgegebenen Tagungsband „Die Hauptreferate des 8. Polnischen Mathematikerkongresses vom 6.–12. September 1953 in Warschau“.

Quelle: Friedemann Stengel (Hg.): Ausgeschlossen. Die 1933-1945 entlassenen Hochschullehrer der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Halle 2016, S. 125 - 131

Autorin: Karin Richter

Weitere Bilder und Dokumente:

Dokument: Grell, Heinrich

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