Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Heimann, Betty

Heimann, Betty

geboren:29.3.1888 Wandsbeck
gestorben:19.5.1961 Sirmione/Gardasee
Konfession:mosaisch (laut eigenem Eintrag im Personalfragebogen)
Vater:Bankier

Heimann, Betty

Indologin, Philosophin

Betty Heimann wird in Wandsbeck bei Hamburg als sechstes Kind des jüdischen Bankiers Isaac Heimann und seiner Ehefrau Margarethe (geb. Levy) geboren. Sie wächst in Wandsbeck auf und besucht dort zunächst die höhere Töchterschule. Anschließend wird sie für das Johanneum in Hamburg zugelassen, wo sie 1913 ihr Abitur macht. An der Christian-Albrechts-Universität Kiel studiert sie Klassische Philologie, Philosophie und Indische Philologie bei dem Indologen Paul Deussen (1845–1919) und schließt 1918 das Staatsexamen mit summa cum laude ab. Betty Heimann ist drei Semester Assistentin am Seminar für Klassische Philologie und promoviert in Kiel am 4. Januar 1921 in Indischer Philologie/Sanskristik mit dem Thema „Madhas (Ânandatírhas) Kommentar zur Kâthaka-Upanişad“. Sie beschreitet eine wissenschaftliche Laufbahn und versucht zunächst an der Universität Heidelberg ein Habilitationsverfahren anzustrengen, das jedoch aufgrund des Widerstands der dortigen Philosophischen Fakultät scheitert. Weder aus wissenschaftlichen noch aus persönlichen Gründen wird der Antrag nicht angenommen, sondern nur aus wirtschaftlichen, da man ihr keine Stelle in Heidelberg anbietet. An der Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg kann sich Betty Heimann am 1. November 1923 mit der Schrift „Die Entwicklung des Gottesbegriffs der Upanisaden“ habilitieren. Sie gehört damit zu den ersten Frauen, die sich in Halle habilitierten und zur Privatdozentin ernannt werden. Dieses besondere Ereignis findet auch Niederschlag in der hallischen Presse. Am 16. Juli 1923 hält Heimann ihre Probevorlesung mit dem Titel „Der Rigvedische Gott Varuna“, im selben Jahr, am 1. November ihre Antrittsvorlesung „Die Lehre der Upanishaden“. Betty Heimann finanziert ihren Lebensunterhalt bis 1926 mit Jahresstipendien und einer Mitarbeit bei den Kant-Studien. Erst am 1. April 1926 erhält sie einen Lehrauftrag für Indische Philosophie. Zwischen 1924 und ihrer Entlassung 1934, bietet sie zu folgenden Themenbereichen der Indologie Lehrveranstaltungen an: Indische Philosophie, Indische Logik, Indische Religionen, Indische Kunst, Indische Rechtslehre, Indische Psychologie (Eigenart, Denken), Übungen in Sanskrit, Prâkrit und Pâli sowie Lektürekurse zu klassischen indischen Texten (Atharvaveda, Gitagovinda, Râjataranginî, Raghuvamsa, Bhagavadgîta). Die Lehrveranstaltungen erfreuen sich bei den Studierenden aller Fakultäten hoher Beliebtheit. 1927 erreicht sie eine Vortragseinladung der Arbeitsstelle für deutsch-spanische Wissenschaftsbeziehungen in Madrid, die sie aber nicht wahrnehmen kann. Mit ihrem Werk „Studien zur Eigenart indischen Denkens“ erhält sie 1931 einen wissenschaftlichen Forschungspreis, der ihr eine Indienreise finanziell ermöglicht. Im selben Jahr, am 11. August 1931, wird sie zur nicht beamteten außerordentlichen Professorin (Nachfolge Eugen Hultzsch) ernannt. Von Oktober 1931 bis Juni 1932 unternimmt sie ihre Forschungsreise nach Indien (Bombay), Ceylon und Birma.

Am 26. Januar 1933 nimmt sie an einem Vortrag „Das Erwachen der Farbigen“ des evangelischen Missionars Wilhelm Mensching in Halle teil. Im Zuge der Diskussion des Vortrages nimmt Heimann fachlich Stellung zum Problem der Reinerhaltung der Arier in Indien und betont, dass die indischen Völker nicht den Ariern zuzurechnen seien. Sie wird beim Kultusministerium denunziert, erhält aber Fürsprache durch den Theologen und Religionswissenschaftler Hilko Wiardo Schomerus (1879–1945). Im September 1933 reist Betty Heimann nach Großbritannien, um über die Indienreise zu berichten und die Fortsetzung der Reise zu planen. Am 7. September 1933 wird ihr aufgrund ihrer jüdischen Herkunft die Lehrerlaubnis entzogen (Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.4.1933). Sie bleibt in London und wird dort Dozentin für Indische Philosophie an der School of Oriental and African Studies. Nach einer Vortragsreise durch Italien 1935 erhält sie eine speziell für sie geschaffene Dozentenstelle für Indische Philosophie an der Universität London. Von 1945 bis 1949 ist sie ordentliche Professorin an der Universität Columbo in Ceylon. 1949 erfolgt die Emeritierung und die Rückkehr nach England. 1957 rechnet die Universität Halle ihr rückwirkend  eine bis 1935 geltende ordentliche Professur an, 1948 hatte die Universität ihre Pensionsansprüche abgelehnt. Sie nimmt 1960 noch an dem internationalen Orientalistentag in Moskau teil. Betty Heimann stirbt am 19. Mai 1961 in Sirmione/Gardasee während einer Urlaubsreise.

Betty Heimann kommt innerhalb der klassischen Indologie eine wissenschaftliche Sonderstellung zu. Während sich die akademische Indologie im Wesentlichen auf die historische und philologische Untersuchung und Transkription indischer Urtexte in Sanskrit bezog, verstand Betty Heimann die Indologie auch als eine Sozialwissenschaft, die Erleben und das Verhalten indischer Ethnien in den Mittelpunkt rückte. Auf Basis der Methoden der Ethnologie und Psychologie entwickelte sie ein Analyseverfahren, das die strukturellen Eigenheiten des indischen Denkens zu beschreiben versucht (anthropogeographische Methode). Ihr zufolge ist sowohl das indische Denken wie die indische Persönlichkeit durch die Umwelt (Landschaft, Jahreszyklus, Wetter) geprägt. Sie entwickelte mit Blick auf das indische Denken eine eigene Kategorienlehre, die unmittelbar auf der indischen Weltanschauung fußt und eine westlich-deduktive Methode entbehrlich macht. Betty Heimann war sich der Problematik der Heterogenität ethnisch-kultureller Gegebenheiten in Indien bewusst und vertrat trotz des Einwandes von Kollegen eine ganzheitliche Betrachtung der indischen Kultur. Um ein umfassendes Verständnis des indischen Lebens aus eigener Anschauung zu gewinnen, führte sie von Oktober 1931 bis Juni 1932 eine Studienreise nach Indien durch. Dabei sichtet sie nicht nur Texte vor Ort, sondern erhält durch Verhaltensbeobachtungen Zugang zum städtischen wie ländlichen Leben in Indien. Sie besuchte Nord- und Südindien. Die mitgebrachten Photographien ihrer Reise setzte sie didaktisch in ihren Lehrveranstaltungen ein. Unter deutschen Indologen ist um diese Zeit eine Reise in das Land noch nicht weit verbreitet. Vorbild für sie ist ihr Kieler Lehrer Paul Deussen, der selber für eine unmittelbare Betrachtung des indischen Lebens vor Ort eintritt. Trotz des Widerstands seitens deutscher Indologen erhält sie 1931 von der Universität Halle eine außerordentliche Professur. Ihre klare Betrachtungsweise und behutsame Interpretation des indischen Geisteslebens stärkt das Bewusstsein vieler indischer Kollegen für ihre eigene Kultur. Ausdruck dieser besonderen Wertschätzung ist das Vorwort von Prof. Ramchandra Dandekar in Heimanns Buch Facets of Indian Thought (1964): „Suffice it to say that Professor Betty Heimann has represented the thought-world of India in a strikingly new light – […] for which all students of Indian culture will ever remain grateful to her“.


Ausgewählte Publikationen von Betty Heimann

  • Madhvas (Anandatīrthas). Kommentar zur Kāţhaka-Upanişad Leipzig 1921 (Dissertation Kiel 1919).
  • Zur Struktur des indischen Denkens. In: Kant-Studien 30 (1925), 1–22.
  • Studien zur Eigenart indischen Denkens. Tübingen 1930.
  • Indian and Western philosophy. A study in contrasts. London 1937.
  • Facets of Indian Thought. London 1964.

Quellen und Literatur

  • UAH PA 7469.
  • Günter Schenk und Regina Meyer: Betty Heimann (1888–1961). In: Philosophisches Denken in Halle. Abt. 3: Philosophen des 20. Jahrhunderts. Bd. 7 Humanismus-Sprache-Kultur, Betty Heimann, Walther Kranz, Julius Stenzel und Rudolf Unger. Halle 2006, 175–221.
  • Johannes H. Voigt und Gerd Kreisel: An Indiens Tempelstätten. Fotoimpressionen der Indologin Betty Heimann. Stuttgart 2003.

Bild: University of Peradinya, Sri Lanka; http://www.pdn.ac.lk/arts/classical/profiles/bh.jpg (Stand: 7.10.2013).

Quelle: Friedemann Stengel (Hg.): Ausgeschlossen. Die 1933-1945 entlassenen Hochschullehrer der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Halle 2016, S. 161 - 167

Autor: Uwe Wolfradt

Weitere Bilder und Dokumente:

Dokument: Heimann, Betty

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