Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Hertz, Wilhelm

Hertz, Wilhelm

geboren:6.1.1901 Helmstedt
gestorben:10.5.1985 Heilbronn
Konfession:evangelisch-lutherisch
Vater:Cheimiker und Fabrikant

Hertz, Wilhelm

Pädiater

Wilhelm Hertz war seit 1928 Assistenzarzt, seit 1934 Privatdozent an der Universitätskinderklinik Halle. Nachdem er wegen seiner jüdischen Herkunft wiederholt Schwierigkeiten bekommen hatte, zog sich Hertz aus der Wissenschaft zurück. 1938 wurde ihm die Venia Legendi entzogen.

Wilhelm Hertz wurde am 6. Januar 1901 in Helmstedt geboren. Sein Vater, der Chemiker und Fabrikant Johann Nicolaus Hertz (1869–1908), entstammte einer einflussreichen Hamburger Familie. Sein Großvater Adolph Ferdinand Hertz (1831–1902) war in Hamburg Reeder und Senator, seine Tante Mary Hertz (1866–1934) eine bekannte Bildhauerin, die mit dem Kunsthistoriker und Philosophen Aby Warburg (1866–1929) verheiratet war.

Hertz studierte an den Universitäten Freiburg, Kiel, München und Jena Medizin; er kehrte wieder nach Kiel zurück und legte 1924 hier das Staatsexamen ab, wo 1926 auch Approbation und Promotion erfolgten. Von April 1926 bis Dezember 1927 erhielt Hertz ein Stipendium von der amerikanischen Rockefeller-Foundation und konnte so ein Jahr am Physiologisch-Chemischen Institut der Universität Leipzig tätig sein. Lag sein Forschungsschwerpunkt zunächst noch auf physiologischen Fragestellungen, verlegte er bald sein Interesse auf klinische Fragen der Pädiatrie. 1928 kam Hertz nach Halle und war seit dem 1. April 1928 als planmäßiger Assistent an der Universitätskinderklinik Halle angestellt, die von Fritz Goebel (1888–1950) geleitet wurde. Nach der 1931 erfolgten Ernennung zum Oberarzt begann Hertz mit seiner Habilitation zum Thema „Glykogenspeicherkrankheit“, die er im Juni 1934 abschloss.

Im Mai 1933 füllte Hertz den laut dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ notwendigen Fragebogen aus und gab dabei an, dass sein Urgroßvater Adolph Jacob Hertz (1800–1866) „jüdisch geboren“ und seit seiner Taufe 1822 protestantisch war. Zwar hatte dieser Umstand keine direkten Auswirkungen auf das Beschäftigungsverhältnis von Hertz, aber der Konfessionswechsel seines Urgroßvaters blieb weiterhin ein Thema für die Universitätsverwaltung. Im Rahmen seiner Habilitation war Hertz verpflichtet, einen Nachweis über seine „arische Abstammung“ zu geben. Im August 1934 erklärte er daher Folgendes:

„Erklärung: ich versichere hiermit dienstlich: Mir sind trotz sorgfältigster Prüfung keine Umstände bekannt, welche die Annahme rechtfertigen könnten, dass ich (und meine Ehefrau) von nichtarischen Eltern oder Grosseltern abstamme(n); insbesondere hat keiner meiner (und meiner Frau) Eltern- und Grosselternanteile zu irgendeiner Zeit der jüdischen Religion angehört. Darüber hinaus wiederhole ich die im Mai 1933 gemachte Angabe, dass mein Urgrossvater Hertz christlich getauft, aber jüdischer Herkunft ist christlich getraut mit der rein arischen Emma Dina geb. Beets. Sämtliche andere Ahnen sind rein arisch.“

Ebenso berief sich Hertz in einem Fragebogen, den er ebenfalls im Rahmen seines Habilitationsverfahrens einreichen musste, im Juni 1934 darauf, dass er „im Sinne des Beamtengesetzes“ nicht von „jüdischen Eltern oder Großeltern“ abstamme.

Im Januar 1934 wurde die turnusmäßige Verlängerung seiner Beschäftigungszeit um zwei Jahre beantragt. Sein Vorgesetzter Fritz Goebel sprach sich für eine Weiterbeschäftigung Hertz’ für die „längstmögliche Zeit“, also zwei Jahre, aus, die auch genehmigt wurde.

Im November 1933 wurde Wilhelm Hertz Mitglied der SA. Hertz habilitierte sich in dieser Zeit, absolvierte den Dozentenlehrgang des Reichs-SA-Hochschulamtes und den Lehrgang an der Dozentenakademie. In einem Gutachten Goebels, das im Juni 1934 für die Annahme der Habilitation verfasst worden war, wurde Wilhelm Hertz als „lautere Persönlichkeit“ beschrieben, der „in allem und jedem zuverlässig, aufrichtig, pflichttreu und unbegrenzt fleißig und immer bereit (ist), für seine Ansichten und Entschlüsse voll einzustehen“. Goebel hob die Arbeitsweise besonders hervor: Hertz sei „in der Diagnosestellung kritisch und sorgfältig, in der Krankenbehandlung unermüdlich, das Beste für jeden einzelnen Fall herauszufinden“.

Nach seiner Antrittsvorlesung am 10. November 1934 zu „Volkstümlichen Anschauungen in der Behandlung verschiedener Kinderkrankheiten“ erhielt Wilhelm Hertz im November 1934 die Venia Legendi für das Lehrgebiet der Kinderheilkunde.

Als 1936 die nächste turnusmäßige Verlängerung seines Arbeitsvertrages von Fritz Goebel beantragt wurde, hatten sich die politischen Vorzeichen bereits gewandelt und verschärft. Der Kurator der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Berthold Maaß schrieb am 3. Februar 1936 an das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung nach Berlin und schilderte die Lage, in der er sich befand: Die Beschäftigungszeit für Wilhelm Hertz sei im März 1936 abgelaufen. Da sein „Urgrossvater väterlicherseits […] Volljude“ war, aber alle anderen „Ahnen“ als arisch galten, zähle Wilhelm Hertz nicht zu den „Mischlingen nach § 2 Abs. 2 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.11.1935“. Der Kurator betonte, dass Hertz somit „als Staatsangehöriger deutschen Blutes im Sinne des § 1 daselbst“ zu gelten habe. Maaß schrieb weiter, dass Wilhelm Hertz selbst mit „Rücksicht auf die in der  Zwischenzeit fortgeschrittene Klärung in der Behandlung der Judenfrage“ nachgefragt habe, ob sich für ihn aus dem Umstand des jüdischen Urgroßvaters „grundsätzliche Hindernisse für die endgültige Anstellung bezw. Ernennung zum ordentlichen Professor“ ergeben würden. Hertz hatte gegenüber dem Kurator angedeutet, dass er bei etwaigen Schwierigkeiten mit dem Reichsbürgergesetz aus dem Staatsdienst ausscheiden würde.

Dass die familiäre Situation für Wilhelm Hertz problematisch werden könnte, bewies der Ausschluss Hertz’ aus der SA der NSDAP. Diese hatte im Oktober 1935 seine Aufnahme in die SA für nichtig erklärt, da „einer der 4 Grosseltern Halbjude“ sei.

Die Antwort des Wissenschaftsministeriums auf den Brief des Kurators fiel eindeutig aus. Obwohl im Antwortschreiben vom 7. Februar 1936 betont wurde, dass Wilhelm Hertz nach dem Reichsbürgergesetz nicht zu den „jüdischen Mischlingen“ gehöre, wurde dem Kurator der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg empfohlen, ihn zu entlassen:

„Obwohl Dr. Hertz nach § 2 Abs. 2 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 nicht zu den jüdischen Mischlingen gehört, erscheint es doch wünschenswert, daß er aus dem Beschäftigungsverhältnis als Oberarzt ausscheidet. Ich ersuche ihm das Ausscheiden mündlich nahezulegen.“

Die Universität folgte dieser Anweisung und entließ Wilhelm Hertz zum 1. April 1936 als Oberarzt der Universitätskinderklinik.

Der Direktor der Universitätskinderklinik, Fritz Goebel, reagierte auf die unerwartete Entlassung mit Bestürzung. Er wies auf die schwierige personelle Situation hin, in die seine Klinik durch die Kündigung gerate. Wilhelm Hertz sei der einzige Assistent mit einer abgeschlossenen Fachausbildung in Kinderheilkunde, der ihn im Falle einer Abwesenheit vertreten könne. Goebel erklärte, dass er so kurzfristig keinen Assistenten mit entsprechender Qualifikation als Ersatz finden könne und bat darum, den Arbeitsvertrag von Wilhelm Hertz bis zum Ende des Sommersemesters 1936 zu verlängern. Auch der Kurator der Universität, Berthold Maaß, schloss sich dieser Argumentation an. Er bat in einem Brief an das zuständige Ministerium, dass der Arbeitsvertrag für Wilhelm Hertz doch noch um sechs Monate verlängert werden möge, damit „Dr. Hertz, der sich erst vor kurzem verheiratet hat, ausreichend Gelegenheit [hat], sich nach einer anderen Stellung umzusehen“. Dieser Anfrage wurde im Ministerium stattgegeben. Im März 1936 genehmigte das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung die Verlängerung des Beschäftigungsverhältnisses bis 30. September 1936. In dem Schreiben an die Universität wurde betont, dass man „persönlich Herrn Dr. Hertz mit allergrößtem Wohlwollen gegenüberstehe“. Doch könnten „Zusicherungen über seine persönliche Laufbahn […] nicht gemacht werden, da sich nicht übersehen lässt, wie bald und nach welcher Richtung vielleicht eine neue Verschärfung des Arierstandpunktes sich herausbilden werde, sodass die Zukunft von Dr. Hertz im Staatsdienst doch immerhin als unsicher angesehen werden müsse“. Hertz selbst verließ sich nicht auf dieses unsichere und sprunghafte Vorgehen der Universität und des Ministeriums und bemühte sich aktiv um die Zulassung einer Kassenarztpraxis, die sich allerdings schwierig gestaltete. Nachdem es zu Protesten gegen seine Zulassungsbemühungen gekommen war, legte der Kurator im April 1936 dem Reichszulassungsausschuss der kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands eine Bescheinigung vor, in der bestätigt wird, dass Hertz „Staatsangehöriger deutschen Blutes im Sinne des Reichsbürgergesetzes § 1“ sei.

Und wieder setzte sich Fritz Goebel im Juni 1936 für seinen Oberarzt ein: In einem Brief an den Dekan der Medizinischen Fakultät Kurt Walcher (1891–1873) sprach er sich für eine Weiterbeschäftigung von vier Jahren von Wilhelm Hertz aus. Er vermied es, auf persönliche Eigenschaften oder Wertschätzung einzugehen, sondern betonte wie in seinem vorherigen Schreiben die Notwendigkeit, Hertz weiter zu beschäftigen, da er der einzige Assistent mit einer Facharztausbildung sei. Nur Hertz könne im Fall einer Abwesenheit des Direktors, Krankheit, Urlaub oder wissenschaftlicher Beschäftigung, die Vertretung der Klinikleitung übernehmen. Unterstützt wurde dieser Antrag durch den Rektor und den Dekan der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Im Juli 1936 richtete der Rektor der Universität, Emil Woermann (1899–1980), mit Zustimmung des Leiters der Dozentenschaft, Wilhelm Wagner (1899–1976), und des Dekans der Medizinischen Fakultät diesen Antrag an das zuständige Ministerium. Der Antrag brachte einen Teilerfolg für Wilhelm Hertz. Er könne, so das Ministerium in Berlin, für weitere zwei Jahre, bis März 1938, an der Universitätskinderklinik arbeiten. Begründungen für diese Entscheidung, auch für die verhältnismäßig lange Weiterbeschäftigung trotz vorheriger Kündigung, wurden nicht gegeben.

Durch eine langwierige Erkrankung von Fritz Goebel trat im Oktober 1936 tatsächlich der Fall ein, den er in seinen Briefen immer angedeutet hatte. Da Goebel selbst für mehrere Monate nicht in der Lage war, die Klinik zu leiten, übertrug der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung im Oktober 1936 Wilhelm Hertz diese Aufgabe.

Trotz dieser Vertretungszeit, in der Hertz auch die Vorlesungen seines Vorgesetzten übernahm, war ihm klar, dass für ihn eine ungehinderte akademische Karriere nicht mehr möglich war. Er erfüllte zwar die Lehrverpflichtungen für das Wintersemester 1936/37, kümmerte sich in dieser Zeit aber intensiv um berufliche Alternativen. Im Januar 1937 schrieb Hertz an den Dekan der Medizinischen Fakultät, dass er sich von seinen Verpflichtungen als Oberarzt der Universitätskinderklinik zum 1. März 1937 sowie von seiner Tätigkeit als Dozent der Universität entbinden lassen wolle, um sich als Kinderarzt in Heilbronn niederzulassen. Hertz wies darauf hin, dass „in Halle z.Zt. keine Kinderarztstelle frei“ sei und er daher aus Halle wegziehen müsse. Hertz unterschrieb dieses Gesuch mit „Heil Hitler“. Die Verlegung des Wohnsitzes von Halle nach Heilbronn sowie die Beurlaubung für zwei Semester wurden vom Reichs- und Preußischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung in Berlin im März 1937 genehmigt.

Wilhelm Hertz zog mit seiner Familie nach Heilbronn und eröffnete hier eine kinderärztliche Praxis. Im Wintersemester 1938 lief die Beurlaubung aus, aber Wilhelm Hertz nahm die Vorlesungen nicht wieder auf. Das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung teilte ihm daraufhin mit, dass ihm unter Anwendung von § 18 der Reichshabilitationsordnung die „Lehrbefugnis für deutsche Hochschulen“ entzogen werde und damit auch die Dienstbezeichnung „Dozent“. Den Titel „Dr. med. habil.“ durfte Wilhelm Hertz weiterführen.

Bis zu seiner Pensionierung arbeitete Hertz als Kinderarzt in Heilbronn. Während des Zweiten Weltkrieges war er als Stabsarzt eingesetzt und kehrte nach Ende des Krieges wieder nach Heilbronn zurück. Kurzfristig leitete er die Kinderabteilung des Städtischen Krankenhauses Heilbronn, war aber von 1949 bis 1982 als niedergelassener Pädiater tätig. Hier starb er 1985. Die wissenschaftliche Karriere an einer Universität, um die er sich bemüht hatte, blieb aus.


Ausgewählte Publikationen von Wilhelm Hertz

  • Über renalen Zwergwuchs. In: Zeitschrift für Kinderheilkunde 48 (1929), 561–570.
  • Der postmortale Glykogenschwund in der Leber von menschlichen Neugeborenen und Feten. In: Zeitschrift für Kinderheilkunde 55 (1933), 410–420.
  • Untersuchungen über den vitalen und postmortalen Kohlehydratstoffwechsel bei Glykogenose und gestörter Schilddrüsentätigkeit. In: Zeitschrift für Kinderheilkunde 58 (1936), 259–265.

Quellen und Literatur

  • UAH Rep. 11, Nr. 1407 PA 7794. Die abgedruckten Dokumente stammen aus dieser Personalakte; die im Text verwendeten Zitate beziehen sich ebenfalls durchweg auf Schriftstücke aus der Personalakte.
  • Eduard Seidler: Jüdische Kinderärzte. Opfer der Verfolgung 1933–1945. Bonn 2000.

Bild: UAH.

Quelle: Friedemann Stengel (Hg.): Ausgeschlossen. Die 1933-1945 entlassenen Hochschullehrer der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Halle 2016, S. 183- 191

Autoren: Florian Steger unter Mitarbeit von Dajana Napiralla

Weitere Bilder und Dokumente:

Dokument: Hertz, Wilhelm

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