Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Herzfeld, Hans

Herzfeld, Hans

geboren:22.6.1892 Halle
gestorben:16.5.1982 Berlin (West)
Konfession:evangelisch
Vater:Arzt

Herzfeld, Hans

Historiker

Hans Herzfelds Lebensgeschichte ist eng mit der deutschen Zeitgeschichte verwoben. Er gehörte jener Generation an, die durch das Erlebnis des Ersten Weltkrieges geprägt und auf der Höhe ihrer Schaffenskraft vom NS-Regime aus der Bahn geworfen wurde.

Herzfeld wuchs als Sohn eines Arztes in einem protestantischen, bürgerlichen Elternhaus mit einer „liberalen Familienüberzeugung“ auf. Seine Lebenserinnerungen machen eine tiefe Verwurzelung in der Welt vor 1914 deutlich. So schreibt er über seine Kindheit: „Im Grunde lebten wir naiv patriotisch unter dem Schutze der scheinbar restlos gesicherten Existenz des Reiches dahin. Früh traten uns wie jedem deutschen Kinde der Zeit der Glanz und die Anziehungskraft des Soldatischen entgegen.“ Die enge Einbindung in die große Familie, ein frühzeitig erwachtes historisches Interesse und die Begegnung mit der Wandervogelbewegung, deren begeistertes Mitglied er war, bildeten seine zentrale Erlebniswelt. Nach dem Abitur 1911 an der Latina der Franckeschen Stiftungen in Halle studierte er zunächst in Freiburg im Breisgau unter anderem bei Friedrich Meinecke Geschichte und kehrte an die Universität seiner Heimatstadt zurück, um im letzten Vorkriegssemester mit den Fächern Geschichte, Germanistik und Englisch eine Ausbildung als Lehrer anzustreben.

Hans Herzfeld war 22 Jahre alt, als der Erste Weltkrieg ausbrach und er sich zusammen mit seinem sechzehnjährigen Bruder Werner in Dessau als Kriegsfreiwilliger für das Infanterie-Regiment Nr. 93 meldete. Er wurde Leutnant und Oberleutnant, überlebte sowohl den Einsatz an der Ost- als auch Westfront und erhielt 1915 das Eiserne Kreuz 2., 1916 1. Klasse und das Sachsen-Meiningensche Ehrenkreuz. Ein Schlüsselerlebnis war die französische Kriegsgefangenschaft, in die er 1917 geriet und aus der er nach drei Jahren zurückkehrte. Mit sechsjähriger Unterbrechung legte er sein Staatsexamen ab und promovierte nur wenige Monate später am 3. Oktober 1921 an der Vereinigten Friedrichs-Universität Halle. Die Habilitation im Januar 1923 wurde von Richard Fester (1860–1945) betreut, der später – so Herzfeld – zum „unbedingten Anhänger des Dritten Reiches“ avancierte. 1926 erhielt er einen Lehrauftrag für politische und soziologische Probleme der Geschichtswissenschaft, die Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor erfolgte 1929. Es schlossen sich Vertretungsprofessuren  im Sommersemester 1929 an der Universität Göttingen an Stelle des ausgeschiedenen Alfred O. Meyer an. Seit 1931 brachte die Philosophische Fakultät in Halle ihn immer wieder für den vakanten Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Geschichte in Vorschlag, welchen er bis 1936 vertrat.

Aus wiederholten Anträgen der Philosophischen Fakultät und der Universitätsleitung an das Ministerium in Berlin geht klar hervor, dass Herzfeld in Halle gehalten werden und als erster Kandidat auf der Berufungsliste stehen sollte.

Nach dem Regierungsantritt der NSDAP vertrat Herzfeld in Halle im Wintersemester 1933/34 den wegen Krankheit beurlaubten Ordinarius für Mittlere und Neuere Geschichte Siegfried A. Kaehler. Erste Schwierigkeiten zeichneten sich ab, als der Dekan der Gießener Philosophischen Fakultät sich im November 1934 beim hallischen Rektorat in einer Berufungsangelegenheit erkundigte, ob Herzfeld „arischer Abstammung“ sei. Der Großvater väterlicherseits war 1849 vom jüdischen zum protestantischen Glauben übergetreten.

Da er keinen Beamtenstatus hatte, sondern lediglich einen Lehrauftrag bekleidete, verlor er seine Venia Legendi auch 1935 nicht, als die anderen einstigen Frontkämpfer die Universitäten verlassen mussten.

Herzfeld reichte im März 1936 ein Gesuch ein, um von den Ausführungsverordnungen zum Reichsbürgergesetz vom 15.9.1935 ausgenommen zu werden, welchem nicht entsprochen worden ist. Im April 1936 forderte die NSDAP-Gauleitung Halle-Merseburg im Zusammenhang mit einer geplanten Übernahme Herzfelds ins Beamtenverhältnis – also einer Berufung – die Stellungnahme von Rektor Emil Woermann über Herzfeld. Dieser wiederum bat, das Gesuch positiv zu bescheiden: Herzfelds Vater habe sich während des Krieges als Stabsarzt der Reserve hervorragend bewährt, die beiden Brüder – ebenso Kriegsfreiwillige – sind im Krieg gefallen. Weiterhin erwähnt der Rektor die Kriegsauszeichnungen EK I und II und weist darauf hin, dass sich selbst Arthur Görlitzer, stellvertretender Gauleiter von Berlin, für ihn eingesetzt habe, da sich beide aus französischer Kriegsgefangenschaft kennen würden. Herzfeld sei 1920 der DNVP und 1933 dem Stahlhelm beigetreten und in die SA-Reserve überführt worden. Sein Buch „Die deutsche Sozialdemokratie und die Auflösung der nationalen Einheitsfront im Weltkriege“ (1928) habe viel „Bekennermut“ gezeigt.

Zum 30. September 1937 sollten auf Anweisung des Reichs- und Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an die Universitätsverwaltung alle „Mischlinge“, „jüdisch Versippten“ und die mit „Mischlingen Verheirateten“ benannt werden. Zudem musste bei nichtbeamteten Hochschullehrern eruiert werden, ob „besondere Gründe die weitere Zugehörigkeit zum Lehrkörper rechtfertigen.“ Die Entlassungen selbst wurden mit § 3 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz begründet, der die politischen Rechte der Nicht-„Reichsbürger“ beschnitt. Der Dekan der Philosophischen Fakultät Max Schneider reagierte mit einer Stellungnahme, in der er darauf verweist, dass sich der nationalsozialistische Rektor in Halle, Emil Woermann, bis zum Ende seiner Amtszeit im November 1936 wie auch sämtliche „Parteistellen einschließlich der Gauleitung für das Verbleiben Herzfelds“ an der Universität erklärt hätten. Da der Kurator den Dekan namentlich auf Herzfeld hinwies, kann vermutet werden, dass Herzfeld die alleinige Ausnahme in der Fakultät war.

Trotz dieser Fürsprachen erreichte am 15. Juni 1938 Hans Herzfeld die Benachrichtigung über die Aberkennung der Lehrbefugnis zum Ende des Sommersemesters 1938; auch die Dienstbezeichnung nichtbeamteter Professor dürfe nicht weitergeführt werden. Dekan Max Schneider bat daraufhin am 4. Juli 1938 das Ministerium, Herzfeld doch eine Gnadenpension, gegebenenfalls ein Forschungsstipendium zu gewähren.

Nach 1938 beginnt eine bis zum Kriegsende dauernde Periode der Ausgrenzung, in der Herzfeld zunächst ab November 1938 durch die Vermittlung von Kriegskameraden als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Kriegsgeschichtlichen Forschungsanstalt des Heeres unterkam.

Durch den Einsatz seines Freundes Fritz Hartung behielt Herzfeld außerdem die Verantwortung für die einflussreichen, seit 1927 jährlich im Rahmen der Jahresberichte zur Deutschen Geschichte erscheinenden Forschungsberichte zur deutschen Geschichte zwischen 1890 und 1914 und dem Ersten Weltkrieg, was ihm einen jährlichen Zuverdienst sicherte.

Anfang 1943 wurde er in Potsdam aufgrund von angeblichen „Äußerungen wehrkraftzersetzenden Charakters“ denunziert, nach Herzfelds Worten „auf Grund kritischer Äußerungen zur militärischen politischen Lage nach dem Fall von Stalingrad“ verhaftet und von der Gestapo im Februar und März in drei verschiedenen Berliner Gefängnissen in Untersuchungshaft verhört. Mit einer Verwarnung entlassen, verliert er jedoch seine Anstellung in Potsdam. Die folgenden Jahre verbrachte Herzfeld in Freiburg im Breisgau, wo er auch das Kriegsende 1945 erlebte.

Nach 1945 erreichte er in seinem letzten Lebensabschnitt den Höhepunkt wissenschaftlicher Wirksamkeit. So wurde ihm 1946 eine außerplanmäßige Professur an der Universität Freiburg angetragen, 1950 nahm Herzfeld einen Ruf für Mittlere und Neuere Geschichte an der neu gegründeten Freien Universität in Berlin an. Mit nunmehr 58 Jahren und erheblicher Verzögerung gelangt er in eine Karriereposition, die Aufbauarbeit im wahrsten Wortsinne bedeutete. Er war nicht nur entscheidende Kraft bei der Etablierung des Friedrich-Meinecke-Instituts der Freien Universität, sondern initiierte weitere Institutsgründungen im Umfeld der Berliner Wissenschaftslandschaft wie die Historische Kommission zu Berlin, deren Leiter er von 1959 bis 1978 war, oder das Deutsche Institut für Urbanistik. Von 1958 bis 1977 gehörte Herzfeld dem Beirat des Instituts für Zeitgeschichte an.

Am 16. Mai 1982 starb Hans Herzfeld in Berlin.

In der Weimarer Zeit gehört Herzfeld zu jenen Historikern, bei denen der Ausgang des Ersten Weltkrieges eine schroffe nationale Abwehrhaltung hervorrief. Unter dem Trauma der deutschen Niederlage und des Untergangs der monarchischen Ordnung beschäftigt er sich wie viele deutsche Historiker auch mit der Zeit des Kaiserreichs vor 1914. In seiner Dissertation „Die deutsch-französische Kriegsgefahr von 1875“ (1922) widmet er sich der deutsch-französischen Rivalität im Anschluss an die Reichsgründung. Unter dem Eindruck der Kriegsschulddiskussion seit dem Friedensvertrag von Versailles versucht Herzfeld, die deutsche Regierung von dem Vorwurf zu entlasten, einen Präventivkrieg geplant zu haben. In der Studie „Deutschland und das geschlagene Frankreich 1871–73“ wird der Fokus auf die Außenpolitik des Kaiserreiches gegenüber Frankreich in den Jahren 1871 bis 1875 gerichtet, um die maßvolle Haltung des einstigen Siegers der unnachgiebigen Politik der Siegermacht von 1918 gegenüberzustellen. Seine erst 1923 gedruckte Habilitationsschrift von 1913 ist Kondensationspunkt einer leidenschaftlichen Kritik an der Führungsschwäche der Reichsregierung und dem unpatriotischen Internationalismus der linken Sozialdemokraten. So lautet 1927 sein Vorwurf in „Die deutsche Sozialdemokratie und die Auflösung der nationalen Einheitsfront im Ersten Weltkrieg“ gegen USPD und Spartakusbund: Sie hätten durch ihre revolutionäre, sozialistische Agitation „den Zusammenbruch der nationalen Einheitsfront“ herbeigeführt, die Moral der kämpfenden Verbände untergraben und durch Inszenierung der Revolution den Versailler Frieden erst ermöglicht.

Herzfeld bleibt jedoch bei einer solchen Geschichtsschreibung, die vom eigenen Erleben beeinflusst ist, nicht stehen. Ein Beispiel seiner gereiften Arbeitsweise ist die zweibändige Biographie des nationalliberalen Politikers Johannes von Miquel mit einer Synthese politischer, sozialer und ökonomischer Aspekte.

Nach 1945 ist seine Arbeit darauf ausgerichtet, die neue Situation des deutschen Volkes historisch zu erhellen und in Überprüfung des Vergangenen dessen positive Verbindung zur Gegenwart zu vermitteln: Die „Geschichte muß zum dienenden Instrument des Lebens werden,“ um durch die „Auswertung der fruchtbaren Werte vergangener Geschichte“ zu überwinden, „was sich uns heute als fragloser Irrweg darstellt,“ schreibt Herzfeld 1965 in dem Aufsatz „Menschenrecht und Staatsgrenze in Zwischeneuropa“. Er plädiert für ein geläutertes deutsches Nationalgefühl, das sich kritisch seine Traditionen vergegenwärtigt, sich der europäischen Umwelt gegenüber öffnet und zu universalen humanen Werten bekennt. In seinem letzten größeren Buch „Berlin in der Weltpolitik von 1945–1970“ dekliniert Herzfeld die Berlinfrage als Knotenpunkt sowohl für die deutsche Situation als auch die weltpolitischen Kräfte durch.

Hans Herzfelds Zeitzeugenschaft und die seit 1933 gesammelten Erfahrungen ließen ihn frühere Positionen revidieren. Trotz seiner nationalen Prägung durch das Kaiserreich wurde er ein Opfer der NS-Rassenpolitik. Nach 1945 entwickelte er ein Geschichtsverständnis, das seine nationale Haltung mit einer demokratisch und universal geweiteten Sicht zu verbinden versuchte.


Ausgewählte Publikationen von Hans Herzfeld

  • Die deutsche Rüstungspolitik vor dem Weltkriege. Bonn; Leipzig 1923 (= Habilitationsschrift Berlin 1923: Die deutsche Heeresverstärkung von 1913. Geschichte und Bedeutung).
  • Die deutsche Sozialdemokratie und die Auflösung der nationalen Einheitsfront im Ersten Weltkrieg. Leipzig 1928.
  • Johannes von Miquel. Sein Anteil am Ausbau des Deutschen Reiches bis zur Jahrhundertwende. 2 Bde., Detmold 1938.
  • Menschenrecht und Staatsgrenze in Zwischeneuropa (1956). In: ders.: Ausgewählte Aufsätze, dargebracht als Festgabe zum siebzigsten Geburtstag von seinen Freunden und Schülern, Berlin 1962, 216–228.
  • Berlin in der Weltpolitik von 1945–1970. Berlin 1973.

Quellen und Literatur

  • UAH PA 7804.
  • StAH FA Hans Herzfeld Nr. 8288.
  • Gerhard A. Ritter: Hans Herzfeld. Persönlichkeit und Wert. In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 32 (1983), 13–93.
  • Hans Herzfeld: Aus den Lebenserinnerungen, hg. von Willy Real, Berlin; New York 1992.

Bild: UAH.

Quelle: Friedemann Stengel (Hg.): Ausgeschlossen. Die 1933-1945 entlassenen Hochschullehrer der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Halle 2016, S. 193 - 201

Autorin: Yvonne Drost

Weitere Bilder und Dokumente:

Dokument: Herzfeld, Hans

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