Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Kochmann, Martin Dagobert

Kochmann, Martin Dagobert

geboren:7.2.1878 Breslau
gestorben:11.9.1936 Halle
Konfession:evangelisch
Vater:Kaufmann

Kochmann, Martin Dagobert

Mediziner, Pharmakologe

Martin Kochmann wurde am 7. Februar 1878 in Breslau als Sohn des jüdischen Kaufmanns Aron Kochmann und seiner Ehefrau Olga, geb. Zweig, geboren. Nach dem Abitur in Breslau studierte er Medizin in Berlin (1896–1898) und Breslau (1898–1901). Danach diente er als Einjährig-Freiwilliger Arzt im Grenadierregiment König Friedrich III Nr. 11. Im Jahre 1902 ging er als Assistent an das neu errichtete Pharmakologische Institut an der Universität Jena zu Heinrich Kionka (1868–1941). Im gleichen Jahr wurde er dort mit der Arbeit „Ueber Mischnarkosen“ zum Dr. med. promoviert. Ebenfalls 1902 konvertierte Kochmann vom jüdischen Glauben zum evangelischen. Von 1904 bis 1906 bekleidete er die Stelle des ersten Assistenten bei dem belgischen Pharmakologen Jean-François Heymans (1859–1932) in Gent. Von dort ging er nach Greifswald zu dem Pharmakologen Hugo Schulz (1853–1932), wo er sich 1907 für das Fach Pharmakologie habilitierte und 1911 zum Professor ernannt wurde. In der Greifswalder Zeit (1908) heiratete er Sophia Gabbe (1882–1951), die Tochter eines Greifswalder Ratsherrn. Das Paar hatte zwei Kinder.

Im Jahre 1914 wurde Kochmann Oberassistent bei Erich Harnack (1852–1915) sowie bei dessen Nachfolger Oskar Gros (1877–1947) am Pharmakologischen Institut der Universität Halle. Zugleich erfolgte die Umhabilitierung von Greifswald nach Halle. Von 1914 bis 1919 war er Oberassistent. Während des Ersten Weltkrieges war er als Bataillons- und Regimentsarzt sowohl an der Front als auch in Feldlazaretten eingesetzt. Er wurde mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse ausgezeichnet.

Im Juni 1920 erfolgte die Berufung Kochmanns zum ordentlichen Professor für Pharmakologie, von 1920 bis 1921 hatte er zunächst die kommissarische Leitung des Institutes inne, und im Juli 1921 wurde er Direktor des Pharmakologischen Instituts in Halle. Es gelang ihm, einen großen Schülerkreis aufzubauen. Unter seiner Anleitung entstanden zahlreiche Dissertationen und Publikationen. Im Institut entfaltete sich ein reges wissenschaftliches Leben und die Zusammenarbeit mit den Kollegen aus anderen Instituten und Kliniken war unter Martin Kochmanns Direktorat besonders gut. Seine Kollegen in der Medizinischen Fakultät wählten ihn zum Dekan (1924–1925).

Kochmann setzte sich beim zuständigen Ministerium für eine Verbesserung der Ausstattung des Pharmakologischen Institutes ein, denn er hatte bei Studienreisen in Pharmakologische Institute in Belgien, Frankreich und Holland gesehen, dass die Institute in Preußen und besonders auch das in Halle nicht dem internationalen Standard entsprachen.

1924 wurde er zum Mitglied der Leopoldina gewählt. Er war ein sehr aktives hallisches Mitglied der Akademie und nahm regelmäßig an den Vortragssitzungen teil. Er schlug auch zahlreiche seiner Fachkollegen zum Leopoldina-Mitglied vor: Sir Henry Dale (1875–1968), Aleksej Bach (1857–1946), Franz Boas (1858–1942), Abraham Flexner (1866–1959), Simon Flexner (1863–1946), Markus Guggenheim (1885–1970, Walter S. Loewe (1884–1963), Otto Loewi (1873–1961), Otto Riesser (1882–1949) und Emil Starkenstein (1884–1942). Einige der von Kochmann vorgeschlagenen Leopoldina-Mitglieder hatten wie er jüdische Wurzeln und wurden 1938 als Mitglieder gestrichen.

Im Jahre 1935, nach der Verkündung des sogenannten Reichsbürgergesetzes, wurde Martin Kochmann als Direktor des Pharmakologischen Institutes „zwangsweise beurlaubt“. Er hatte am 8. Oktober 1935 selbst ein Entlassungsgesuch eingereicht und erhielt wenige Tage später die „Versetzung in den Ruhestand“. Am 15. Juni 1936 verhaftete ihn die Gestapo unter dem Verdacht der „Begünstigung staatsfeindlicher und hochverräterischer Bestrebungen“. Im Institut hatte man eine größere Menge Kaliumcyanid gefunden, die schon seit 1928 dort lagerte. Kochmann beendete am 11. September 1936 im Untersuchungsgefängnis Halle sein Leben durch Suizid. In der Vortragssitzung am 20. November 1936, im Hörsaal des Physiologischen Instituts, gedachte der Leopoldina-Präsident Emil Abderhalden öffentlich der seit der letzten Sitzung verstorbenen Mitglieder der Akademie. Zu ihnen gehörte auch „Professor Dr. Martin Kochmann, em. Direktor des Pharmakologischen Instituts der Universität Halle a. S.“. Mit 57 Jahren war er entlassen worden und mit 58 Jahren hat er unter dem großen äußeren Druck sein Leben selbst beendet. Martin Kochmann starb im Gerichtsgefängnis. Dies ist der Inhalt der Todesanzeige:

„Der Univ.-Professor Dr. med. i.R. Martin Dagobert KOCHMANN,
wohnhaft in Halle a. S., Friedenstr. 12a,
58 Jahre alt,
evangelischer Religion,
geboren zu Breslau am 7. Februar 1878,

verheiratet [Eheschließung 09.10.1908 in Greifswald] gewesen mit Sophie Wilhelmine Henriette Therese Kochmann, geb. Gabbe, geb. zu Greifswald am 10. Januar 1882, evangelischer Religion

ist am 11. September 1936 um ca. 1 Uhr [mittags] zu Halle, Kleine Steinstr. 7 an Freitod […] verstorben.

[Unterschriften]: Winkler (Vorsteher des Gefängnisses), Dr. Loofs (Strafanstaltsmedizinalrat)

Vermerke:

Der Verstorbene hinterlässt 2 großjährige Kinder. Er hat kein Testament errichtet.

Freigabeschein [für die Bestattung bzw. Einäscherung] des Oberstaatsanwalts bei dem Landgericht Halle lag vor.

Halle, den 11. September 1936“

In der Friedenstraße 12 a, vor seinem letzten Wohnort in Halle, wurde am 12. Dezember 2006 ein Stolperstein für ihn verlegt.

Das breit gefächerte wissenschaftliche Werk von Kochmann umfasst neben weit über 100 Originalarbeiten in Fachzeitschriften eine Vielzahl von Beiträgen in Sammelschriften, darunter im „Handbuch der experimentellen Pharmakologie“ (Hg. Arthur Heffter. Berlin 1923; Hg. M.K. 1936), im „Handbuch der normalen und pathologischen Physiologie“ (A. Bethe. Berlin u.a. 1927) und im Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden (Emil Abderhalden. Berlin u.a. 1936). Schwerpunktthemen seiner wissenschaftlichen Arbeiten waren die Theorie der Wirkungsweise von Narkosemitteln, speziell auch der Lokalanästhesie, und der Calcium- und Eisenstoffwechsel im Organismus. Zusammen mit Rudolf Magnus (1873–1927) in Utrecht beteiligte er sich auch an der Erforschung der weiblichen Sexualhormone.


Ausgewählte Publikationen von Martin Kochmann

  • Über Mischnarkose. In: Internationales Archiv für Pharmakodynamik und Therapie 10 (1902) (Dissertation Jena 1902).
  • Die Wirkung des Alkohols auf den Blutkreislauf des Menschen. In: Deutsche Medizinische Wochenschrift 31 (1905), Heft 24, 942–944.
  • Die theoretischen Grundlagen der Lokalanästhesie. In: Zeitschrift für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde 8 (1924), 297.
  • Über weibliche Sexualhormone. Würzburger Abhandlungen aus dem Gesamtgebiet der Medizin, Neue Folge 5 (1928), Heft 3, 173–195. 
  • Ergänzungswerk zu: Wolfgang Heubner, Josef Schüller u.a. (Hgg.): Handbuch der experimentellen Pharmakologie. Bd. 2: Narcotica der Fettreihe von M. Kochmann. Berlin 1936.

Quellen und Literatur

  • UAH PA 6193.
  • Matrikelmappe Nr. 3508 und Vorstandssitzungsprotokolle im Archiv der Leopoldina, Nationale Akademie der Wissenschaften, Halle und aus dem Stadtarchiv Halle.
  • Sammelakte zum Sterbefall 2336/1936 des Standesamtes Halle (Saale); Catalogus professorum halensis.
  • Hans-Heinz Eulner: Kochmann, Martin. In: Neue Deutsche Biographie 12 (1979), 285.
  • Biographisch-literarisches Handwörterbuch der exakten Naturwissenschaften. Bd. 7a, Berlin 1959, 824–826.
  • Hans-Heinz Eulner: Aus der Geschichte des Pharmakologischen Institutes zu Halle. In: Arzneimittelforschung 5 (1955), 553–557.
  • Christine und Jochen Giessler: Institut für Pharmakologie und Toxikologie, Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. In: Athineos Philippu: Geschichte und Wirken der pharmakologischen, klinisch-pharmakologischen und toxikologischen Institute im deutschsprachigen Raum. 2 Bde., Innsbruck 2004 und 2007.

Abbildungen: Für die Überlassung des Fotos von Martin Kochmann danken wir Prof. Athineos Philippu, dem Berenkamp-Verlag und der Universitätsbibliothek Leipzig. Dem Stadtarchiv Halle danken wir für die Genehmigung der Abbildung der Todesanzeige.

Quelle: Friedemann Stengel (Hg.): Ausgeschlossen. Die 1933-1945 entlassenen Hochschullehrer der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Halle 2016, S. 245 - 251

Autoren: Sybille Gerstengarbe und Horst Remane

Weitere Bilder und Dokumente:

Dokument: Kochmann, Martin Dagobert

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