Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Laqueur, Richard

Laqueur, Richard

geboren:27.3.1881 Straßburg i.E.
gestorben:25.11.1959 Hamburg
Konfession:evangelisch
Vater:Mediziner und Universitätsprofessor

Laqueur, Richard

Althistoriker

Richard Laqueur wurde als Sohn des Mediziners und konfessionslosen ordentlichen Universitätsprofessors Dr. Ludwig Laqueur in Straßburg im Elsaß geboren. Dort besuchte er ab Herbst 1889 das protestantische Gymnasium, an dem er 1898 die Reifeprüfung ablegte. Danach begann er an der Universität Straßburg mit dem Studium der Klassischen Philologie, wechselte für ein Jahr nach Bonn und kehrte 1901 nach Straßburg zurück, wo er 1903 promoviert wurde. Bis Oktober 1904 führte er vertretungsweise die Geschäfte eines Assistenten am philologischen Seminar. Darauf folgte eine zweijährige Studienreise nach Frankreich und Italien (Studien von Handschriften) sowie nach Griechenland und Kleinasien (topographische und archäologische Studien). Dann ging er im Oktober 1907 für einige Monate nach Göttingen, wo er sich habilitierte. Von April 1908 bis März 1909 war er Privatdozent mit Lehrauftrag in Kiel. Von April desselben Jahres bis zum September 1912 wirkte er wieder in Straßburg, zunächst als außerordentlicher, dann als ordentlicher Professor für Alte Geschichte. Zwei Rufe ins Ausland (Basel 1910 und Herningen 1911) hatte er abgelehnt, was vor allem der dringlichen Bitte des Kaiserlichen Statthalters von Elsaß-Lothringen geschuldet war. Es folgten dann achtzehn Jahre an der Universität Gießen (bis September 1930). Allerdings war er vom 2. August 1914 bis Januar 1919 im Krieg bzw. im Militärdienst. Er wurde mit dem Eisernen Kreuz 1. und 2. Klasse sowie weiteren Kriegsorden ausgezeichnet. Seinen Militärdienst beendete er im Range eines Hauptmanns der Reserve. In Gießen hatte er von 1922 bis 1930 den Vorsitz der hessischen Prüfungsbehörde für das höhere Lehramt inne und bekleidete 1923/24 das Rektorat. 1930 nahm er einen Ruf nach Tübingen an, wechselte aber bereits zum 1. Oktober 1932 nach Halle. Zum 31. Dezember 1935 verlor er seinen Lehrstuhl. Vor dem 1. Weltkrieg war er Mitglied der Nationalliberalen Partei und nach dem 1. Weltkrieg bis 1930 in einer ihrer Nachfolgeparteien, der Deutschen Volkspartei.

Als sich im Jahre 1932 das preußische Kultusministerium um Richard Laqueur bemühte, war dieser ein über die Grenzen Deutschlands hinaus renommierter Althistoriker. Laqueur verfügte über ein breites Forschungsfeld von der klassischen Zeit Griechenlands bis zur Spätantike und wusste als Lehrer die Studierenden zu begeistern. Das Ministerium ließ sich den Ruf etwas kosten, auch wenn die Gehaltserhöhung mit höheren hallischen Mieten begründet wurde. Ein Grundgehalt von 13.600 RM lag zum Beispiel über dem durchschnittlichen Grundgehalt der Berliner Ordinarien der Philosophischen Fakultät. Auch die anderen finanziellen Zusagen beweisen das große Interesse, Laqueur für Halle zu gewinnen. Doch aus dem hoch geschätzten Wissenschaftler wurde innerhalb von nur drei Jahren ein Ausgestoßener.

Als sogenannter Nichtarier wurde Richard Laqueur gemäß § 3 BBG vom 7. April 1933 nicht entlassen, weil ihn die gesetzlichen Ausnahmeregelungen schützten: Vereidigung als Beamter vor dem 1. August 1914 und Teilnahme als Frontkämpfer am 1. Weltkrieg. Damit konnte Laqueur zunächst Forschung und Lehre wie gewohnt fortsetzen. Das änderte sich mit den Nürnberger „Rassengesetzen“ vom 15. September 1935, die die Ausnahmeklauseln außer Kraft setzten. Der Rektor der Universität Halle bemühte sich beim Reichserziehungsministerium für Laqueur und den ebenfalls betroffenen Klassischen Philologen Paul Friedländer, die Entpflichtung vom 1. November 1935 bis zum 1. April 1936 zu verschieben, doch die Antwort war abschlägig. Nach der 2. Verordnung zum „Reichsbürgergesetz“ wurde zusätzlich zur Entpflichtung die Lehrbefugnis entzogen. Der Eintritt in den Ruhestand datiert auf den 1. Januar 1936. Bis Ende 1936 erfolgte dann die Berechnung des Ruhegehaltes als Frontkämpfer (ohne Anrechnung der außerpreußischen Dienstzeiten). Dieser Verwaltungsvorgang ist ein irritierendes Beispiel, wie der Anschein des legalen Handelns aufrechterhalten wurde: Die Berechnungen erfolgten akribisch entsprechend den geltenden Regelungen. Allerdings basierten die Voraussetzungen des Verwaltungsaktes auf dem Bruch der formal nie außer Kraft gesetzten Weimarer Verfassung, auf Zwang und Terror. Das Ruhegehalt betrug jährlich 16.040 RM und setzte sich aus der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit mit 100 v.H. des Grundgehalts, der ruhegehaltsfähigen Unterrichtsgebühren und aus dem Wohnungsgeldzuschuss der Ortsklasse B zusammen. Dazu kam noch Kinderbeihilfe. Außerdem wurde das Ruhegehalt bei Erreichen der Altersgrenze ab 1. April 1946 vorausberechnet, das dann die außerpreußischen Dienstzeiten berücksichtigte.

Mit den neuen Bestimmungen zum Ausschluss der Juden von allen kulturellen Veranstaltungen und Einrichtungen verlor Laqueur 1938 auch das Benutzungsrecht der Universitätsbibliothek. Dazu fragte die Universitätsbibliothek am 15. November beim Kurator an, ob Laqueur, der eine große Anzahl von Büchern entliehen habe, Volljude sei. Die Antwort des Kurators lautete: „Prof. Dr. Laqueur ist rassemäßig Volljude. Es ist ihm zu eröffnen, daß seine Besuche der Univ.Bibl. unerwünscht sind.“ Damit sah sich Laqueur – auf dessen Haus in Dölau bei Halle im November 1938 geschossen worden war – gezwungen, ins Ausland zu gehen und bat am 14. Dezember den Universitätskurator um eine Bescheinigung, dass für ihn als Professor für Alte Geschichte „der Besitz einer Bibliothek und deren Mitnahme unbedingt erforderlich“ sei. Er wolle nur die großen Nachschlagewerke, die wichtigsten Zeitschriften und die Textausgaben der griechischen und römischen Historiker sowie ausgewählte Forschungsliteratur mitnehmen.

Alle anderen Bücher sollten bei seiner Frau in Deutschland verbleiben, bis er sich eine neue Existenz gegründet habe.

Dann machte Laqueur den Fehler und reiste ohne Genehmigung des Ministeriums zu seinem Sohn nach San Francisco aus, was die Stornierung seines Ruhegehaltes zur Folge hatte. Erst nach längeren Bemühungen wurde die Sperre aufgehoben. Mit Datum vom 26. August 1939 teilte dann der Reichserziehungsminister dem Universitätskurator mit, dass Laqueur „unter Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs für die Zeit vom 1. Juni 1939 – 31. Mai 1941“ der Wohnsitz in San Francisco genehmigt worden sei. Ihm wurde auferlegt, dass er sich umgehend bei der zuständigen deutschen Auslandsvertretung zu melden und dem Kurator halbjährlich über die entsprechenden konsularischen oder diplomatischen Vertretungen über die Entwicklung seiner Einkommensverhältnisse zu berichten habe. Gegebenenfalls würde dann nicht mehr die inländische Versorgung gezahlt. Neben weiteren Auflagen, die Laqueur zu beachten hatte, wurde vorausgesetzt, dass er „auf die Ausübung einer wissenschaftlichen Lehrtätigkeit im Ausland verzichtet“. Das Ruhegehalt wurde zwar auf ein Sonderkonto überwiesen, das den Richtlinien für die Devisenbewirtschaftung unterlag, wurde aber entsprechend der familieninternen Vollmacht an seine in Hamburg gebliebene Frau in Reichsmark ausgezahlt. Der Auslandsaufenthalt wurde Richard Laqueur am 29. Mai 1941 bis zum 31. Mai 1943 verlängert. Laqueur verdiente sich seinen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsjobs, zum Beispiel als Packer in einer Großbuchhandlung.

Es war dieser Erlass des Reichserziehungsministers und ein Fragebogen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verhinderten, dass Laqueur seinen alten Lehrstuhl in Halle wieder erhalten konnte und auch seine Berufung an die Berliner Universität scheiterte. Schwere politische Bedenken wurden gegen ihn erhoben, ohne dass die Beteiligten genau erfahren hätten, worin die Bedenken nun eigentlich bestanden, so dass aus Andeutungen falsche Gerüchte entstanden. Schließlich gelang es dem Berliner Dekan der Philosophischen Fakultät, von der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung die erbetenen Informationen zu erhalten:

„Auf Ihre Anfrage teilen wir Ihnen mit, daß nach früheren Personalunterlagen Prof. Laqueur‚ ,z.Zt. der Kommunistenunruhen die Aufstellung und Führung einer Kompanie übernommen hat, die aus Gießener Studenten bestanden hat‘. Es handelt sich um einen alten Militär, der Hauptmann der Reserve war und der der SA-Reserve II seit deren Aufstellung angehörte. Wir können uns, obwohl er seit 1933 [richtig: Nov. 1935 – I.St.] wegen seiner jüdischen Abstammung beurlaubt wurde und auswandern mußte, nicht entschließen, seine Berufung zu befürworten. Bemerkt sei noch, daß der damalige Reichsminister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung [richtig: Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung – I.St.] Herrn Dr. Laqueur für die Zeit vom 1.6.39 bis 31.5.41 während seines Aufenthalts in San Francisco die Auszahlung seiner Versorgungsbezüge genehmigt hat gegen die Verpflichtung, sich bei der deutschen Auslandsvertretung zu melden. Diese bei einem ‚Volljuden‘ damals höchst ungewöhnliche Genehmigung wurde bis zum 31.5.43 verlängert.“

Der erste Vorwurf blendete die historischen Zusammenhänge völlig aus. Denn Laqueur hatte im Jahre 1919 die Studentenkompanie auf der Basis eines Aufrufes an die Professoren und Studenten der sozialdemokratischen Reichsregierung und der ebenfalls sozialdemokratischen Landesregierung Hessens gebildet, die Beurlaubung und Anerkennung als Militärzeit ausgesprochen hatten. Es sollte ein Übergreifen der kommunistischen Aufstände in Bayern auf Hessen verhindert werden. Zu einem Einsatz kam es aber nicht, so dass Laqueur die Studentenkompanie wieder auflöste. Spätere Gerüchte verwechselten diesen Vorgang mit der erneuten Aufstellung einer Studentenkompanie im Jahre 1920 unter Otto Eger, dem Vorgänger Laqueurs im Amt des Rektors, dem eine verdächtige Nähe zum Kapp-Putsch nachgesagt wurde.

Der zweite Vorwurf über die Mitgliedschaft in der SA-Reserve II ist ebenfalls ahistorisch. Laqueur hatte in einem Fragebogen zwar korrekt angegeben, Mitglied des Vereins ehemaliger Offiziere des Feldartillerie-Regiments 51 und Mitglied der SA-Reserve II seit deren Aufstellung zu sein, doch bedeutete das nicht, dass er aktiv in die SA eingetreten wäre. Er war Mitglied des Offiziersvereins des ober-elsässischen Feldartillerieregiments Nr. 51, in dem er vom 1. Oktober 1899 bis zum 1. Oktober 1900 seine Wehrpflicht abgeleistet hatte. Doch mit der Gleichschaltung aller Militärverbände und Militärvereine waren diese – vom Kyffhäuserbund bis eben zum kleinen Regimentsverein – von der SA als Dachorganisation übernommen worden, die daraufhin im November 1933 in SA Reserve I und SA Reserve II unterteilt wurde. In letzterer wurden im Allgemeinen die über 45 Jahre alten Angehörigen der Verbände und Vereine zusammengefasst. Laqueur war zu diesem Zeitpunkt 52 Jahre alt.

Der dritte Vorwurf der Bevorzugung beim Erhalt seiner Versorgungsbezüge war – wie gesagt – falsch und beruhte auf fehlender Kenntnis des praktizierten Beamtenrechts.

Richard Laqueur wurde das Opfer von Unwissen, Irrtümern und erneuter Ausgrenzung und somit um die verdiente Rehabilitierung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gebracht. Als sich sein großer Wunsch, wieder deutscher Professor für Alte Geschichte zu sein, zerschlug, stand er mit leeren Händen da. Er blieb in den USA und war dann in Washington in der Shakespeare-Bücherei tätig. Es war die Universität Tübingen, die ihn 1951 emeritierte. Ein Jahr später kehrte er zu Frau und Tochter nach Deutschland zurück. Von der Universität Hamburg wurde er schließlich 1959 zum Honorarprofessor ernannt, doch nur wenige Tage später, am 25. November 1959, starb er an einem Herzanfall.

Manche von Laqueurs Arbeiten sind Jahrzehnte später unverändert neu gedruckt worden, wie zum Beispiel seine Dissertation aus dem Jahre 1904. Daran kann man ermessen, wie substantiell diese waren. Durch die doppelte Ausgrenzung – zuerst durch den Nationalsozialismus, dann durch kommunistische Funktionäre – konnte Richard Laqueur sein  wissenschaftliches Potential über vierzehn Jahre nicht entfalten: zum irreparablen Schaden für die deutsche und die internationale althistorische Forschung, von der Tragik für ihn selbst zu schweigen.


Ausgewählte Publikationen von Richard Laqueur

  • Quaestiones epigraphicae et papyrologicae selectae. Diss. phil. Straßburg 1904 (Neudruck Rom 1970).
  • Polybius. Leipzig 1913 (Neudruck Aalen 1974).
  • Der jüdische Historiker Flavius Josephus. Ein biographischer Versuch auf neuer quellenkritischer Grundlage. Gießen 1920 (Neudruck Darmstadt 1970, mit einem Nachwort von O. Michel).
  • Epigraphische Untersuchungen zu den griechischen Volksbeschlüssen. Leipzig 1927 (Neudruck Rom 1970).
  • Diodors Geschichtswerk. Die Überlieferung von Buch I–V, aus dem Nachlaß hg. von Kai Brodersen, Frankfurt a.M. 1992.

Quellen und Literatur

  • UAH PA 9893.
  • Kai Brodersen: Einführung und Schriftenverzeichnis von Richard Laqueur. In: Richard Laqueur: Diodors Geschichtswerk. Die Überlieferung von Buch I–V, aus dem Nachlaß hg. Frankfurt a.M. 1992, VII–XVII.
  • Hans Georg Gundel: Richard Laqueur (1881–1959)/Althistoriker. In: Gießener Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, hg. von H. G. Gundel. Bd. 2, Marburg 1982, 590–601.
  • Fritz Heichelheim: Richard Laqueur – Lebensskizze eines deutschen Gelehrten. In: Gießener Hochschulblätter 9 (1961) 2, 4f.
  • Isolde Stark: Die mißlungenen Berufungen von Richard Laqueur nach Halle und Berlin zwischen 1946 und 1948. In: Studia hellenistica et historiographica. Festschrift für Andreas Mehl, hg. von Thomas Brüggemann, Burkhard Meißner, Christian Mileta, Angela Pabst und Oliver Schmitt. Gutenberg 2010, 413–435.

Bild aus: Gundel 1982.

Quelle: Friedemann Stengel (Hg.): Ausgeschlossen. Die 1933-1945 entlassenen Hochschullehrer der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Halle 2016, S. 269 - 276

Autorin: Isolde Stark

Weitere Bilder und Dokumente:

Dokument: Laqueur, Richard

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