Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Lehnerdt, Friedrich

geboren:25.10.1881 Berlin
gestorben:30.5.1944 Karlsbad
Konfession:evangelisch
Vater:Geheimer Sanitätsrat

Lehnerdt, Friedrich

Pädiater

Friedrich Lehnerdt war als Pädiater an der Universitätskinderklinik sowie am St. Barbara-Krankenhaus in Halle tätig. 1938 wurde ihm aufgrund § 18 der Reichshabilitationsordnung die Lehrbefugnis entzogen („Der Reichswissenschaftsminister kann die Lehrbefugnis entziehen oder einschränken, wenn es im Universitätsinteresse geboten ist.“).

Am 25. Oktober 1881 wurde Friedrich Wilhelm Heinrich Lehnerdt in Berlin geboren. Sein Vater Otto Lehnerdt (1838–1913) war Geheimer Sanitätsrat und leitender Arzt am Elisabeth-Krankenhaus in Berlin. Seine Mutter Marianne Hertz (1849–1917), die Tochter des Berliner Buchhändlers und Verlegers Wilhelm Hertz (1822–1901), stammte aus der weitverzweigten Hamburger Reeders- und Senatorenfamilie Hertz. Ein Cousin dritten Grades von Friedrich Lehnerdt war der wesentlich jüngere Wilhelm Hertz (1901–1985). Beide waren nicht nur durch ihre Verwandtschaft miteinander verbunden, sondern auch durch ihre berufliche Entwicklung. Wie Lehnerdt wurde auch Hertz als Pädiater in Halle tätig. Ob der ältere Verwandte dem jüngeren geholfen hat, muss offenbleiben. Schriftliche Zeugnisse gibt es dafür nicht.

Friedrich Lehnerdt studierte an den Universitäten Berlin, Straßburg und Leipzig Medizin. 1905 bestand er das Staatsexamen und absolvierte im Anschluss daran (1905/06) Praktika am Kinderkrankenhaus Leipzig und am Urbankrankenhaus Berlin. Am 1. Oktober 1906 kam Friedrich Lehnerdt als junger Assistenzarzt an die Universitätsklinik für Kinderkrankheiten Halle, die unter Leitung von Wilhelm Stoeltzner (1872–1954) stand. Am 9. Oktober 1907 wurde Lehnerdt an der Universität Leipzig mit der Arbeit „Zur Kenntnis der Narbenstrukturen und Narbenverschlüsse nach Intubation“ promoviert. Seit 1912 leitete er als Stationsarzt die Säuglingsklinik. Hier habilitierte er sich am 19. Februar 1913 im Fach Pädiatrie mit der Arbeit „Der Einfluss des Strontiums auf die Entwicklung des Knochengewebes wachsender Tiere bei verschiedenem Kalkgehalt der Nahrung“.

Der Krieg unterbrach die wissenschaftliche Karriere von Friedrich Lehnerdt. Von 1914 bis 1918 leistete er Kriegsdienst als Stabs- und Bataillonsarzt eines Infanterieregiments. Er nahm an Stellungskämpfen in Vilnius teil (Winter 1915/16) und von Juli bis August 1918 an der letzten Marne-Schlacht. Für diese Fronteinsätze erhielt er das Eiserne Kreuz 2. Klasse (1915) und 1. Klasse (1918). Vergeblich versuchte Wilhelm Stoeltzner, seinen Assistenten Friedrich Lehnerdt für einige Monate vom Kriegsgeschehen fernzuhalten, indem er beim Kurator der Vereinigten Friedrichs-Universität einen Antrag stellte, ihn für zwei Monate vom Kriegsdienst zurückzustellen. Der Antrag wurde mit dem Hinweis abgelehnt, eine Entlassung aus dem Heeresdienst sei nicht möglich. Nach seiner Rückkehr erhielt Lehnerdt 1918 „durch Paten vom 20. Dezember d. Js. in Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen das Prädikat ‚Professor‘“. Auch der Dekan der Medizinischen Fakultät Rudolf Beneke (1861–1945) hatte dieses Gesuch mit einem Brief vom 29. Juli 1918 unterstützt, der sich an den Kurator der Universität richtete. Er wies auf die wissenschaftlichen Leistungen von Friedrich Lehnerdt hin und beschrieb dessen Persönlichkeit: „Zudem ist Dr. Lehnerdt der Fakultät als sehr sympathische Persönlichkeit u. als pflichttreuer Lehrer bekannt und lieb.“

Die Ernennung zum außerordentlichen Professor erfolgte am 31. August 1921. Die wirtschaftliche Lage nach dem Ersten Weltkrieg war durch die Weltwirtschaftskrise und die Inflation angespannt. Das beeinflusste auch die Lebensumstände von Friedrich Lehnerdt. Er war nun nicht mehr an der Universitätskinderklinik beschäftigt, sondern als leitender Arzt des Stadtkrankenhauses Halle tätig. In einem Antrag vom 8. Dezember 1922, der sich an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung richtete, wird ein umfassenderes Bild der Lebensumstände von Friedrich Lehnerdt gezeichnet: Die Medizinische Fakultät der Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg stellte einen Antrag, ihm einen Lehrauftrag für „Säuglings- und Kinderfürsorge“ zu erteilen, der mit Lehnerdts „geldlicher Notlage“ begründet wurde. Denn obwohl er Leiter des Stadtkrankenhauses sowie der Kinderheilstätte des vaterländischen Frauenvereins sei und zusätzlich das Säuglingsheim in Kröllwitz (auf Initiative des Direktors des Physiologischen Instituts Emil Abderhalden gegründet) betreue, war die Bezahlung beim Stadtkrankenhaus nicht ausreichend und bei den beiden anderen Anstalten so gering, dass „sie nicht einmal die Ausgaben für die Straßenbahn“ deckten. Im Juli 1923 wurde ihm vom Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung ein Lehrauftrag für Kinderheilkunde erteilt. Sicherlich waren auch private Veränderungen für Friedrich Lehnerdt Anlass, seine finanzielle Lage zu verbessern. Seit 1919 war er mit Martha Spott verheiratet. 1923 kam ihre gemeinsame Tochter Christiane zur Welt.

1925 veränderte sich die berufliche Situation Lehnerdts erneut. Die Lehrauftragsvergütung wurde gekürzt, gleichzeitig wurde er dirigierender Arzt der Säuglings- und Kinderabteilung am St. Barbara-Krankenhaus. Diese katholische „Kongregation der Schwestern von der heiligen Elisabeth“ hatte in einem Haus in der Barbarastraße ein Kinderhospital eingerichtet. Hier war bereits Jahre zuvor Dr. Helene Stoeltzner (1870–1961), die Frau seines ehemaligen Vorgesetzten, tätig gewesen. Lehnerdt nahm weiterhin seine Verpflichtung wahr und hielt Vorlesungen an der Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg.

Im „Fragebogen zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933“ gab Lehnerdt als Konfession „evangelisch“ an. Die Frage „Sind Sie arischer Abstammung im Sinne der Ersten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 11. April 1933 (Reichsgesetzbl. I S. 195) zu § 3, Nr. 2 Abs. 1?“ beantwortete Lehnerdt mit „Nein“. Friedrich Lehnerdts Großvater, der Berliner Buchhändler Wilhelm Hertz (1822–1901), war jüdischer Konfession, bevor er 1828, im Alter von sechs Jahren, getauft wurde. Sein Urgroßvater Johann Jacob Hertz (1788–1867) war 1828 mit seiner Familie zum Christentum übergetreten. Daher galt Lehnerdt nach nationalsozialistischer Ideologie als „jüdischer Mischling“.

Doch durch das sogenannte Frontkämpferprivileg war Lehnerdt zunächst vor einer Entlassung geschützt. Dies änderte sich 1937. In einem Brief des Kurators an den Dekan der Medizinischen Fakultät vom 10. November 1937 gerieten auch die „Mischlinge“, „jüdisch versippten“ oder mit „Mischlingen verheirateten“ ins Visier:

„Der Herr Reichserziehungsminister hat mich ersucht, die am 1. Oktober d. Js. noch bei der Universität beschäftigten Hochschullehrer, die Mischlinge oder jüdisch versippt sind – falls solche nach dem 30. September 1937 ausnahmsweise noch in ihrer Tätigkeit verblieben sind – oder mit Mischlingen verheiratet sind, festzustellen und bis zum 15. November d. Js. anzuzeigen. Bei den nichtbeamteten Hochschullehrern ist zu der Frage Stellung zu nehmen, ob besondere Gründe die weitere Zugehörigkeit zum Lehrkörper rechtfertigen. Als jüdisch versippt kommt der der Fakultät angehörige n.b.a.o. Professor Dr. Lehnerdt in Frage.

Ich ersuche um Stellungnahme im vorerwähnten Sinne bis 14. d. Mts.

gez. Maaß.“

Die Medizinische Fakultät entschied, nicht für Friedrich Lehnerdt einzutreten. Am 18. November 1937 schrieb der Dekan der Medizinischen Fakultät Otto Gessner (1895–1968) an den Kurator der Universität Berthold Maaß:

„In Beantwortung des Schreibens Nr. 5764 vom 10.11.1937 des Herrn Kurators teile ich nach Anhören der Fakultät in der Sitzung vom 15.11.1937 hierdurch mit, daß nach Ansicht der Fakultät keine besonderen Gründe vorliegen, die die weitere Zugehörigkeit des Herrn n.b.a.o. Prof. Dr. L e h n e r t (sic) zum Lehrkörper rechtfertigen.“

Am 2. April 1938 wurde Friedrich Lehnerdt die Lehrerlaubnis sowie die Berechtigung zum Führen der Dienstbezeichnung „ n.b.a.o. Professor“ – nicht beamteter außerordentlicher Professor – entzogen. Als Grund wurde § 18 der Reichshabilitationsordnung vom 13. Dezember 1934 angegeben.

„Berlin, den 2. April 1938

Der Reichs- und Preussische Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung

Eilt!

Auf Grund von § 18 der Reichs-Habilitationsordnung vom 13. Dezember 1934 entziehe ich Ihnen mit Ende des Wintersemesters 1937/38 die Lehrbefugnis. Ich bemerke, dass damit auch die Berechtigung zur Weiterführung der Dienstbezeichnung n.b.a.o. Professor entfällt.“

Friedrich Lehnerdt war weiterhin als Arzt am St.-Barbara-Krankenhaus tätig. 1944 starb er im Alter von 63 Jahren während eines Kuraufenthaltes in Karlsbad.


Ausgewählte Publikationen von Friedrich Lehnerdt

  • Zur Kenntnis der Narbenstrukturen und Narbenverschlüsse nach Intubation (Dissertation Leipzig 1907).
  • Warum bleibt das rachitische Knochengewebe unverkalkt? In: Ergebnisse der inneren Medizin und Kinderheilkunde 6 (1910), 120.
  • Der Einfluss des Strontiums auf die Entwicklung des Knochengewebes wachsender Tiere bei verschiedenem Kalkgehalt der Nahrung. In: Zeitschrift für die gesamte Experimentelle Medizin 1 (1913), 175–266 (Habilitationsschrift Berlin 1913).

Quellen

UAH PA 9990. Die abgedruckten Dokumente stammen aus dieser Personalakte; die im Text verwendeten Zitate beziehen sich ebenfalls durchweg auf Schriftstücke aus der Personalakte.


Quelle: Friedemann Stengel (Hg.): Ausgeschlossen. Die 1933-1945 entlassenen Hochschullehrer der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Halle 2016, S. 277 - 285

Autoren: Florian Steger unter Mitarbeit von Dajana Napiralla

Weitere Bilder und Dokumente:

Dokument: Lehnerdt, Friedrich

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