Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Lippmann, Edmund Oskar Ritter von

Lippmann, Edmund Oskar Ritter von

geboren:9.1.1857 Wien
gestorben:24.9.1940 Halle
Konfession:evangelisch, bis 1882 mosaisch
Vater:Fabrikbesitzer

Lippmann, Edmund Oskar Ritter von

Chemiker, Zuckertechnologe, Chemiehistoriker

„Gleich nach meinem Eintritt in die Praxis, 1877, begann ich, jede freie Minute zu chemischen Arbeiten und geschichtlichen Studien zu verwenden.“

Autobiographie von E. O. von Lippmann

Der Chemiker, Zuckertechnologe und Chemiehistoriker Edmund Oskar von Lippmann wurde am 9. Januar 1857 in Wien geboren. Sein Vater, Leopold von Lippmann (1827–1909), war Teilhaber einer Zuckerfabrik im damals ungarischen Nagysurány (heute Šurany in der Südslowakei). Seine prägende Ausbildung erhielt Edmund von Lippmann am 1553 gegründeten Akademischen Gymnasium am Beethovenplatz in Wien. Das Profil dieser humanistischen Bildungseinrichtung war zwar sprachlich-historisch angelegt, doch auch die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer hatten ihren Platz. Mit großem Fleiß erlernte von Lippmann das Klavierspiel und erreichte damit Konzertreife. Gelegentliche Besuche in der väterlichen Zuckerfabrik und vor allem der Besuch der Weltausstellung, die 1873 in Wien stattfand, weckten das Interesse des Gymnasiasten an der Technik. Im Jahre 1874 beendete er das Gymnasium mit der Hochschulreife (Matura).

Danach begann er an der Eidgenössischen Polytechnischen Schule in Zürich, der heutigen Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH), Chemie zu studieren. Seine akademischen Lehrer waren in der Chemie der Bunsenschüler Viktor Meyer (1848–1897) und in der Technischen Chemie Georg Lunge (1839–1923), beide sehr gut ausgewiesene Fachleute. Die chemiehistorischen Vorlesungen von Wilhelm Weith (1846–1881), oft war von Lippmann bei ihm der einzige Hörer, lenkten sein Interesse nachhaltig auf dieses Gebiet. Neben dem Chemiestudium befasste er sich auch mit Literatur und Philosophie. Besonders beeindruckten ihn die Werke von Immanuel Kant (1724–1804) und Arthur Schopenhauer (1788–1860). Im Sommer 1878 wurde von Lippmann bei Robert Bunsen (1811–1899) in Heidelberg mit der Schrift „Der Zucker, seine Derivate und sein Nachweis“ zum Dr. phil. promoviert, da das Polytechnikum in Zürich zu dieser Zeit noch kein Promotionsrecht hatte. In Heidelberg lernte er auch den Klassiker der deutschen Chemiegeschichtsschreibung Hermann Kopp (1817–1892) kennen.

Ab Mitte 1878 arbeitete von Lippmann in der Zuckerindustrie. Nach kurzer Tätigkeit in den Zuckerraffinerien Troppau (heute Opava, Tschechien) und Modran (heute Praha-Modřany) wurde er chemischer Berater in der Braunschweigischen Maschinenbau-Anstalt, einem Hersteller für Anlagen und Ausrüstungen für die Zuckerindustrie. Hier trug er maßgeblich zur Überführung des sogenannten „Steffenverfahrens“ zur Entzuckerung von Melasse in die Produktion bei. Im Jahre 1880 übernahm von Lippmann die Leitung einer Zuckerraffinerie in Duisberg. 1884 wurde er Direktor der Zuckerraffinerie in Rositz (Sachsen). Durch seine erfolgreiche Betriebsführung etablierte er sich zu einer der führenden Persönlichkeiten in der Zuckerindustrie. Von 1890 übernahm er die Direktion der Zuckerraffinerie in Halle (Saale). Während seiner bis zur Pensionierung im Jahre 1926 entfalteten Tätigkeit entwickelte er diesen Betrieb zu einem der größten und modernsten Unternehmen in Deutschland.

Edmund von Lippmann hat neben seiner sehr engagierten Tätigkeit in der Industrie Zeit seines Lebens mit großem Erfolg wissenschaftlich gearbeitet. Die umfangreiche Palette seiner Arbeiten reicht von solchen zur Zuckerchemie und über den Zucker und dessen Geschichte bis hin zu tiefgründigen historischen Quellenarbeiten zur Geschichte der Naturwissenschaften. Sie fanden ihren Niederschlag in weit über 700 publizierten Arbeiten, darunter einer großen Anzahl von Büchern. Hier können nur einige Beispiele genannt werden.

Die erste wissenschaftliche Arbeit zur Chemie der Zucker aus dem Jahre 1878 dokumentiert den erreichten Forschungsstand auf dem Gebiet der Zucker auf 48 Seiten. Der enorme Zuwachs des Wissens über die Zuckerchemie erforderte schon vier Jahre später eine erweiterte Auflage mit 238 Seiten. Die Auflage von 1895 hatte mit 1174 Seiten bereits enzyklopädischen Charakter und 1904 folgte eine weitere mit 2003 Seiten. Schon 1886 begann von Lippmann mit der Veröffentlichung von Fortschrittsberichten zur Zuckerchemie in der Zeitschrift „Deutsche Zuckerindustrie“. Die im Verlauf von 53 Jahren erschienenen 110 Folgen trugen maßgeblich zur Verbreitung neuer Erkenntnisse und Erfahrungen bei. Ein Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Tätigkeit lag auf dem Gebiet der Geschichte der Chemie. Im Jahre 1890 brachte von Lippmann eine umfassende und feinsinnige Kulturgeschichte des Zuckers mit dem Titel „Geschichte des Zuckers, seine Darstellung und Verwendung seit den ältesten Zeiten bis zum Beginne der Rübenzuckerproduktion“ heraus. Eine zweite, wesentlich erweiterte Auflage dieses Standardwerkes erschien 1929. Ebenfalls den Charakter eines kulturhistorischen Standardwerkes erreichte seine dreibändige und mehrmals aufgelegte Schrift „Entstehung und Ausbreitung der Alchemie“. Schon 1906 begann er mit der Herausgabe seiner wissenschaftshistorischen Zeitschriftenartikel in Sammelbänden, um einen breiteren Leserkreis zu erreichen. Die zweibändigen „Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte der Naturwissenschaften“ erschienen 1906 und 1913. Ebenfalls 1913 folgten die „Beiträge zur Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik“, der zweite Band erschien posthum 1953.

Mit seinen „Zeittafeln zur Geschichte der organischen Chemie“ (1921) leistete er einen grundlegenden Beitrag zu deren Propagierung und Systematisierung.

Die wissenschaftlichen Arbeiten Edmund von Lippmanns beruhen auf sorgfältigen Quellenstudien: „Griechische und lateinische Texte konnte er mit seinen, am Gymnasium erworbenen, Sprachkenntnissen selbst lesen. Für die Erschließung von Texten arabischer, syrischer und persischer Herkunft nahm er die Hilfe des bekannten Orientalisten […] Julius Ruska (1867–1949) in Anspruch. Aufgrund seiner herausragenden Sprachkenntnisse konnte er Texte, die in modernen Sprachen abgefasst waren, im Original lesen.“

Schon frühzeitig erhielt Edmund von Lippmann auch für seine wissenschaftlichen Arbeiten hohe Anerkennungen. 1898 wurde er Mitglied der Leopoldina, der heutigen Nationalakademie. Im Jahre 1901 ernannte ihn das Preußische Unterrichtsministerium zum Professor und ehrte auf diese Weise erstmals die wissenschaftliche Leistung einer Persönlichkeit in nichtstaatlicher Stellung. 1919 verlieh ihm die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin die silberne Leibniz-Medaille, und 1926 zeichnete ihn die Deutsche Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik mit der Sudhoff-Medaille aus. Schließlich wurde er Ehrendoktor der Technischen Hochschule Dresden (Dr. Ing. h. c., 1910) und der Universitäten Halle/Saale (Dr. rer. pol. h. c., 1925) und Rostock (Dr. med. h. c., 1927).

Schon Ende des 19. Jahrhunderts gab es Versuche, Edmund O. von Lippmann wegen seiner national und international hoch geschätzten Arbeiten zur Geschichte der Naturwissenschaften mit Vorlesungen zur Geschichte der Chemie an der Universität Halle-Wittenberg zu beauftragen. Von Lippmann lehnte jedoch ab, da er sich nicht durch Aufgaben binden wollte, die ihn bei der Ausübung seiner Leitungstätigkeit in der Zuckerraffinerie behindern könnten. Erst mit dem Übergang in den Ruhestand fiel dieser Grund weg, und im August 1926 wurde er zum Honorarprofessor (allerdings „ohne Honorar“) an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Halle-Wittenberg ernannt. Er erhielt den Auftrag, „die Geschichte der Chemie in Vorlesungen und gegebenenfalls in Übungen zu vertreten.“ Ab Sommersemester 1927 wurden von ihm im Vorlesungsverzeichnis der Universität regelmäßig Vorlesungen zu ausgewählten Themen aus der Geschichte der Chemie angeboten. Die Universität Halle-Wittenberg war damit die erste deutsche Universität überhaupt, in der das Fach Geschichte der Chemie durch eine spezielle Professur vertreten wurde. In seinen Lebenserinnerungen erinnerte sich von Lippmann: „Ich hatte jederzeit, eine […] sehr getreue und höchst aufmerksame Zuhörerschaft, der sich einige Assistenten anschlossen sowie einige ältere Teilnehmer, […] so z.B. zwei vielbeschäftigte Sanitätsräte.“

Die erfolgreiche Lehrtätigkeit von Lippmanns fand im Jahre 1933, bald nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, ein jähes Ende. Nach Inkrafttreten des sogenannten Berufsbeamtengesetzes musste er sich von seinem Lehrauftrag entbinden lassen. Dem Antrag des Universitätskurators wurde durch den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung am 2. Juni 1933 entsprochen, doch der Name Edmund O. von Lippmann blieb bis zum Wintersemester 1936/37 im Personal- und Vorlesungsverzeichnis der Universität. Da er im Jahre 1933 bereits 77 Jahre alt war, entstand damit zunächst der Eindruck, dass von Lippmann seine Lehrtätigkeit aus Altersgründen beendet hat. Ein Fragebogen in seiner Personalakte belegt, dass er bis 1883 „mosaischer Konfession“ war und dann zum evangelischen Glauben konvertierte.

Im Jahre 1935, nach Verkündung des sogenannten Reichsbürgergesetzes und dessen 1. und 2. Verordnung, wurde von Lippmann wegen seiner jüdischen Abstammung völlig aus der Universität verstoßen. Zusammen mit anderen „nichtarischen Professoren“ wurde ihm die Lehrbefugnis entzogen, obwohl er bereits drei Jahre keine Vorlesungen mehr gehalten hatte. Sein Name musste aus dem Personalverzeichnis gestrichen werden, die Privatdozentenliste der Universität „berichtigt“ und die Personalakte „abgelegt“ werden. In einem Brief des Universitätskurators vom 25. Februar 1936 wurde Edmund von Lippmann Folgendes mitgeteilt:

„Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Sie zwar bis auf weiteres den Titel ‚Honorarprofessor‘ weiter führen dürfen, jedoch nur mit einem Zusatz, der erkennen läßt, dass Sie jetzt nicht mehr zum Lehrkörper der Martin-Luther-Universität gehören, also z.B. ‚früher Honorarprofessor in der naturwissenschaftlichen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.‘“

In den Folgejahren blieb E. O. von Lippmann trotz schwerer gesundheitlicher Beeinträchtigungen weiter wissenschaftlich aktiv. So stellte er im Jahre 1937 seine Autobiographie fertig, die aber erst anlässlich seines 50. Todestages (auszugsweise) in der Zeitschrift „Zuckerindustrie“ veröffentlicht wurde. Mit Fachkollegen des Auslandes führte er eine sehr intensive und aufwändige Korrespondenz. Dagegen wurde er im Inland zunehmend isoliert. Nach seinem Tode durften in der Zeitschrift des Vereins der Deutschen Zuckerindustrie weder ein Nachruf noch ein Todesanzeige veröffentlicht werden, obwohl von Lippmann seit 1925 Ehrenmitglied dieses Vereins war. Lediglich in den beiden maßgeblichen Zuckerzeitschriften, der „Blauen“ und der „Grünen“, erschien eine Kurzmeldung von 13 bzw. 14 Zeilen.


Ausgewählte Publikationen von Edmund O. von Lippmann

  • Der Zucker, seine Derivate und sein Nachweis. Wien 1878; als: Die Zuckerarten und ihre Derivate. Braunschweig 1882, 1895 und 1904.
  • Geschichte des Zuckers, seiner Darstellung und Verwendung, seit den ältesten Zeiten bis zum Beginne der Rübenzuckerfabrikation. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte. Leipzig 1890 (2. Aufl. 1929, Neudruck mit Ergänzungen und Nachträgen. Niederwalluf 1970).
  • Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte der Naturwissenschaften. 2 Bde., Leipzig 1906 und 1913.
  • Entstehung und Ausbreitung der Alchemie. Mit einem Anhange: Zur älteren Geschichte der Metalle. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte. 3 Bde., Berlin 1919 (Nachdruck: Hildesheim 1978), 1931, 1954 (hg. von Richard von Lippmann. Weinheim 1954).
  • Zeittafeln zur Geschichte der organischen Chemie. Berlin 1921.
  • Beiträge zur Geschichte der Naturwissenschaften und Technik. Bd. 1, Berlin 1923; Bd. 2, hg. von Richard von Lippmann. Weinheim 1953.

Quellen und Literatur

  • UAH PA 10183. 
  • Matrikelmappe MM 3105 des Archivs der Leopoldina.
  • StAH Akte Nr. 2777.
  • Guntwin Bruhns (Hg.): Aus den [handschriftlichen] Lebenserinnerungen von E. O. von Lippmann. In: Zuckerindustrie 107–119 (1982–1994), insgesamt 15 Fortsetzungen.
  • Julius Ruska (Hg.): Studien zur Geschichte der Chemie. Festgabe Edmund O. v. Lippmann zum siebzigsten Geburtstage. Berlin 1927.
  • Rudolph Zaunick: Edmund O. von Lippmann – Zum 100. Geburtstag. In: Zeitschrift für die Zuckerindustrie 7 (1957), 29–32.
  • G(untwin) B(ruhns): Edmund Oskar von Lippmann zum 125. Geburtstag. In: Zuckerindustrie 107 (32) 1982, 60f.
  • Horst Remane und Antje Kindermann: Edmund Oskar von Lippmann als Wissenschaftshistoriker, In: Robert W. Rosner und W. Gerhard Pohl (Hgg.): Naturwissenschaften und Politik. Brennpunkte im 20. Jahrhundert (Science and Politics. Issues that have shaped the 20th century). Linz 1999, 191–205.

Bilder: Zeichnung von Emil Stumpp, 1933: UAH. Porträt-Foto um 1927: Archiv der Leopoldina Halle.

Quelle: Friedemann Stengel (Hg.): Ausgeschlossen. Die 1933-1945 entlassenen Hochschullehrer der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Halle 2016, S. 287 - 296

Autor: Horst Remane

Weitere Bilder und Dokumente:

Dokument: Lippmann, Edmund Oskar Ritter von

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