Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Utitz, Emil

Utitz, Emil

geboren:27.5.1883 Rostocky (bei Prag)
gestorben:2.11.1956 Jena
Konfession:jüdisch
Vater:Lederwarenfabrikant

Utitz, Emil

Psychologe, Philosoph

Emil Utitz wird als Sohn des jüdischen Lederwarenfabrikanten Gotthold Utitz und seiner Ehefrau Philippina (geb. Traussig) in Rostocky bei Prag geboren. Ab 1890 besucht er die Volksschule der Piaristen in Prag, danach das Altstädter Gymnasium im Kinski Palais (zusammen mit Franz Kafka), wo er 1901 die Matura mit Auszeichnung besteht. Schon früh wird er in Prag durch Franz von Brentano und Anton Marty beeinflusst und konvertiert von der jüdischen Religion zum Protestantismus. An der Universität München studiert er zunächst Jura, wechselt dann aber unter dem Eindruck der Begegnung mit Künstlern zum Studium der Philosophie, Psychologie, Kunstgeschichte und Archäologie. 1903 kehrt er nach Prag zurück, um sich dem Brentano-Kreis um Marty anzuschließen. Er promoviert dort 1905 bei Christian v. Ehrenfels mit der Arbeit „J. J. W. Heinse und die Ästhetik zur Zeit der deutschen Aufklärung“ zum Dr. phil. Zwischenzeitlich studiert Utitz 1904 ein Semester bei Wilhelm Wundt und Johannes Volkelt in Leipzig. Zwischen 1906 und 1910 unternimmt er Studienreisen nach Italien, sucht Kontakte zu Max Dessoir und Franz Brentano und arbeitet als Redakteur an verschiedenen Kulturzeitschriften mit. 1910 erhält er auf Empfehlung Max Dessoirs eine Dozentenstelle an der Universität Rostock. Im selben Jahr, am 5. November 1910, habilitiert er sich dort mit der Arbeit „Die Funktionsfreuden im ästhetischen Verhalten“ gegen den Widerstand einzelner Professoren, aber auch mit Unterstützung etwa von Moritz Schlick. 1914 heiratet er Ottilie Schwarzkopf aus Böhmen. Am 28. Februar 1916 wird er in Rostock zum Titularprofessor, am 1. Juni 1921 zum außerplanmäßigen außerordentlichen Professor, am 30. Oktober 1924 zum planmäßigen außerordentlichen Professor ernannt. In dieser Zeit befasst er sich mit Fragen der Ästhetik, Kulturpsychologie und Charakterologie und versammelt um sich einen Kreis von Wissenschaftlern und Kulturschaffenden, unter anderem Albert Einstein, Albert Schweitzer, Walter Gropius, Ernst Barlach, Max Liebermann, Bruno und Ernst Cassirer. Zusammen mit Max Dessoir gründete er die Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. Am 1. Oktober 1925 wird er zum persönlichen ordentlichen Professor in der Nachfolge von Max Frischeisen-Köhler und im selben Jahr zum Direktor des Philosophischen Seminars an der Vereinten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg ernannt. Er hält Vorträge am Bauhaus Dessau, organisiert 1927 den 3. Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft in Halle und unternimmt Studienreisen auf den Balkan (1929 und 1932). Von 1930 bis 1933 ist er Mitglied im Generalkonzil der Universität Halle. Emil Utitz hält vom Sommersemester 1926 bis Sommersemester 1933 zu folgenden Themenbereichen Lehrveranstaltungen in Halle ab: Psychologie, Charakterologie, Kulturphilosophie, Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, Kunstphilosophie, Geschichte der Philosophie, Mensch und Kultur. 

Am 29. April 1933 wird er vom Reichswissenschaftsministerium zunächst beurlaubt und am 23. September 1933 unter gleichzeitiger Einstellung aller Bezüge in den Ruhestand versetzt. Er kehrt zurück nach Prag, wo er von Oktober 1933 bis Ende 1934 im Brentano-Archiv tätig ist. In dieser Zeit sucht er um finanzielle Unterstützung bei der Universität Halle nach, da er Frau und Vater versorgen muss (der Hausrat befindet sich noch in Halle). Am 1. Oktober 1934 wird er auf den Lehrstuhl für Philosophie (Nachfolge Chr. von Ehrenfels) an der Deutschen Universität Prag berufen. Zwischen 1934 und 1938 nimmt Utitz an verschiedenen Philosophie-Kongressen teil und wird zu Gastvorträgen eingeladen. 1938 wird er aufgrund von Auseinandersetzungen mit NS-Kollegen in den abermaligen Ruhestand versetzt. Seiner Frau und ihm gelingt es nicht mehr, die Tschechoslowakei vor der deutschen Besetzung 1939 zu verlassen. Er erhält Schreibverbot und ist der Drangsal der Gestapo ausgesetzt. Am 30. Juli 1942 wird er zusammen mit seiner Frau in das KZ Theresienstadt eingeliefert. Dort leitet er die Ghettobücherei und organisiert Vorträge, seine Frau arbeitet als Krankenschwester. Im August 1945 kann er zusammen mit seiner Frau das KZ verlassen und wird ordentlicher Professor für Philosophie in Prag. Emil Utitz wird Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Die Universität Halle bemüht sich 1946 um die Rückkehr Utitz’, einen Ruf lehnt er jedoch ab. Mittels Vorträges und Rundfunkbeiträgen setzt er sich sehr für eine demokratische Erneuerung ein. Auf einer Vortragsreise durch die DDR stirbt er am 2. November 1956 in Jena.

Emil Utitz bewegte sich wissenschaftlich im Spannungsfeld von Philosophie, Psychologie und Kunstwissenschaft. Er war vornehmlich an Fragen der Ästhetik, Kulturpsychologie und Charakterologie interessiert, weniger dem experimentell-psychologischen Arbeiten zugetan. Geprägt ist Utitz durch die phänomenologischhermeneutische Tradition seiner Lehrer Franz Brentano und Anton Marty. Von 1924 bis 1929 gibt er das „Jahrbuch der Charakterologie“ heraus. Hierzu hält er 1925 fest: „Die Charakterologie soll die ‚opfervolle Überwindung in Rücksicht auf das Gute‘ fördern“ (188). Womöglich schon unter dem Eindruck seiner Vertreibung aus Halle beschwört Utitz (1935) die sittliche Rolle der Philosophie: „Der Philosoph ist sich selbst Experiment und damit Prüfstein und Vorbild. Dies vermag er nur, wenn er sich mit seinem ganzen Sein einsetzt für das als wahr Erkannte. Auch das ist noch irreführend ausgedrückt: letztlich erfaßt er überhaupt bestimmte Sachverhalte nur dann als schlechthin wahr, wenn er sich mit seinem ganzen Sein einsetzt. […] Diese Selbstverwirklichung bedeutet unter Umständen Bereitschaft zu geistigem Heldentum, zum Opfer.“

In seinem Bericht zur Psychologie des Konzentrationslagers aus dem Jahre 1948 analysiert Utitz mit Blick auf die Lagerinsassen nicht nur die psychologischen Bedingungen menschlichen Verhaltens. Er betont auch wesentliche Elemente seiner philosophischen Grundüberzeugung. Das Provisorische der Lagerhaft darf nicht zum eigentlichen Leben, einer gefühlsmäßigen Abstumpfung und sozialen Anpassung an die NS-Peiniger nicht nachgegeben werden. Auch unter den unmenschlichen Verhältnissen der KZ-Haft bewährt sich Utitz’ ethische Grundhaltung.


Ausgewählte Publikationen von Emil Utitz

  • Die Kultur der Gegenwart. Stuttgart 1921.
  • Charakterologie. Charlottenburg 1925.
  • Christian Wolff. Rede zur 250. Wiederkehr seines Geburtstages in der Aula der Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg gehalten am 6. Dezember 1929 (Hallische Universitätsreden; 45). Halle 1929.
  • Die Sendung der Philosophie in unserer Zeit. Leiden 1935.
  • Psychologie des Lebens im Konzentrationslager Theresienstadt. Wien 1948 (Neudruck in: Ethik nach Theresienstadt. Späte Texte des Prager Philosophen Emil Utitz (1883–1956). Wiederveröffentlichung einer Broschüre von 1948 mit ergänzenden Texten, hg., eingel. und komm. von Reinhard Mehring. Würzburg 2015).

Quellen und Literatur

  • UAH PA 16380.
  • Reinhard Mehring: Das Konzentrationslager als ethische Erfahrung. Zur Charakterologie von Emil Utitz. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 51 (2003), 761–775.
  • Regina Meyer: Emil Utitz (1883–1956). Zu Leben und Werk eines halleschen Gelehrten. In: Mitteldeutsches Jahrbuch für Kultur und Geschichte 13 (2006), 127–138.

Bild: http://cpr.uni-rostock.de/metadata/cpr_person_00002120 (Universitätsarchiv Rostock, Stand 7.10.2013).

Dokument: Kennkarte Emil Utitz. Stiftung Historische Museen Hamburg – Altonaer Museum, Foto: Elke Schneider.

Quelle: Friedemann Stengel (Hg.): Ausgeschlossen. Die 1933-1945 entlassenen Hochschullehrer der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Halle 2016, S. 333 - 338

Autor: Uwe Wolfradt

Weitere Bilder und Dokumente:

Dokument: Utitz, Emil

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