Hugo Schuchardt
geboren: | 4. Februar 1842 Gotha |
gestorben: | 21. April 1927 Graz |
Konfession: | evangelisch |
Vater: | Hofadvokat |
Hugo Schuchardt
Von seiner Mutter Malvine von Bridel-Brideri, Hofdame der regierenden Herzogin, lernte Schuchardt Französisch. Im Alter von sieben Jahren verfasste er eine griechische Grammatik, arabisch und baskisch lernte er allein. Ein Privatlehrer unterrichtete ihn in anderen Sprachen. Die Reifeprüfung bestand er 17jährig am Gymnasium Gotha. Der Vater drängte ihn zum Studium der Rechtswissenschaften, nach einem Jahr wechselte Schuchardt jedoch zur klassischen Philologie, die er an den Universitäten Jena und Bonn studierte. Bei einem Ausflug nach Trier begeisterte er sich für die lateinischen und altchristlichen Instriften der antiken Denkmäler und beschloss, sie zum Gegenstand seiner Dissertation zu machen. 1864 promovierte Schuchardt an der Universität Bonn mit der Schrift »De sermonis Romani plebei vocalibus« (erweiterte deutsche Fassung unter dem Titel »Der Vokalismus des Vulgärlatein«, 3 Bände, 1866–1868). Um seine französischen und italienischen Sprachkenntnisse, insbesondere die der Dialekte, zu verbessern, unternahm Schuchardt eine längere Studienreise. 1870 habilitierte er sich mit der Schrift »Über einige Fälle bedingten Lautwandels im Churwälischen«, in der er diverse Schweizer Mundarten untersuchte, an der Universität Leipzig für das Fach romanische Philologie. In seiner Antrittsvorlesung über »Die Klassifikation der romanischen Mundarten« wies er auf die Existenz fließender Sprachgrenzen hin und bezog damit eine konträre Position zu gängigen Lehrmeinungen. 1872 wurde Schuchardt als außerordentlicher Professor an die Universität Halle berufen und 1873 zum ordentlichen Professor befördert. 1876 nahm er, enttäuscht vom »antiliberalen Geist« Preußens den Ruf auf ein Ordinariat an der Universität Graz an. Die Berufung nach Leipzig lehnte er 1890 ab. Häufig erkrankt, trat er 1900 in den Ruhestand. Schuchardts Erkrankungen, so lässt der Nachruf in der Neuen Österreichischen Biographie vermuten, waren vermutlich psychosomatischer Natur. Die Lehre sei für ihn ein »immer wieder gefürchtetes Martyrium« gewesen, erst als Schuchardt zur kleinen, seminaristischen Form überging, fand er ihn ihr Befriedigung. Mehrere Jahre lang hielt er seine Übungen zu Hause ab, oft im Bett liegend.
Als Forscher war Schuchardt unsystematisch, jedoch ungemein anregend. Er öffnete die Sprachwissenschaft, wie ein Nachruf herausstellt, den Erkenntnissen der Kulturwissenschaft. Insbesondere durch die Erforschung der Sprachgrenzen und Sprachmischungen, etwa des Kreolischen, Malaiospanischen, Slawo-deutschen und Slawo-italienischen, erlangte er Aufschlüsse über die Sprachentstehung, Adaptionen von Worten und grammatikalischen Veränderungen. Schuchardt bediente sich dabei vor allem der »Sach-Wort-Forschung« und ließ sich – damals unüblich – auch durch Artefakte des Alltagslebens anregen. Da ihm bestimmte Sprachen zu wenig erforscht schienen, widmete er dem Baskischen, Berberischen, Nubischen, Ungarischen, Kymrischen und Georgischen Einzeluntersuchungen. Der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn war auch politisch Schuchardts Heimat. Seine Begeisterung über die deutsche Einigung 1871 verlor sich rasch, da er im Nationalstaat kein geeignetes gesellschaftliches Zukunftsmodell erblickte. »Aus seinen Theorien vom Ewig-Gemischten unserer Rassen, Kulturen, Sprachen«, so schrieb Leo Spitzer in einem Nachruf, resultierte dessen »Gerechtigkeit und Toleranz den Sprachen wie den Nationen gegenüber.« Nicht zuletzt deshalb beteiligte sich der »Völkerversöhner« und »Pacifex« (so Spitzer), an Versuchen, eine Weltsprache zu schaffen. Während des Ersten Weltkrieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit verteidigte er jedoch die Positionen der Mittelmächte mit allen ihm zur Verfügung stehenden publizistischen Mitteln.
Quellen: Dissertation; Leo Spitzer, Hugo Schuchardt, in: Biographisches Jahrbuch für Altertumskunde, 1928, S. 82–85; Hugo Schuchardt, in: Neue Österreichische Biographie 1815–1918, Band 6, Wien 1929.
Autor: HE