Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Rudolf Stammler

Rudolf Stammler

geboren: 19. Februar 1856 Alsfeld (Hessen)
gestorben: 25. Mai 1938 Wernigerode
Konfession: evangelisch
Vater: Landgerichtsdirektor

Rudolf Stammler

Der, so Gustav Radbruch, »Neubegründer der deutschen Rechtsphilosophie«, besuchte Schulen in Alsfeld, Büdingen und Gießen. Nach der Reifeprüfung (1874) studierte Stammler Rechtswissenschaften in Gießen und Leipzig. 1877 legte er das erste juristische Staatsexamen ab und promovierte an der Universität Gießen mit einer Dissertation über die strafrechtliche Bedeutung des Notstandes zum Dr. jur. Danach war er Referendar am Stadt- und Hofgericht Gießen sowie am Kreisamt der Stadt. 1879 bestand er das zweite juristische Examen und ging nach Leipzig, um seine Studien bei dem damals bedeutendsten Pandektisten Bernhard Windscheid fortzusetzen. Noch im selben Jahr habilitierte er sich an der Universität Leipzig mit einer Schrift über den Nießbrauch an Forderungen für das Fach römisches Recht. 1882 wurde Stammler als beamteter außerordentlicher Professor an die Universität Marburg berufen, 1884 erhielt er an der Universität Gießen ein Ordinariat. 1885 wechselte Stammler an die Universität Halle auf ein Ordinariat für Rechtsphilosophie, bürgerliches Recht und Rechtsgeschichte. Rufe nach Berlin (1890, Universität), Straßburg (1895), Berlin (1905, Handelshochschule) und Leipzig (1911) lehnte er ab. In Halle amtierte er 1903/04 als Rektor. 1916 wurde Stammler per Ministerialerlass an die Universität Berlin versetzt und dort 1921 emeritiert. Seinen Lebensabend verbrachte der Hochgeehrte (Roter Adler-Orden 3. Klasse, Komtur II. Klasse des Anhaltinischen Hausordens Albrechts des Bären, Ehrendoktorwürden der Universitäten Göttingen, Halle, Dresden, Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften und der Academy of Arts and Sciences Boston, USA) in Wernigerode.
Stammlers Rechtsphilosophie resultierte aus fest verwurzelten Überzeugungen, die ihm eigene Art des Hinterfragens lässt sein Werk in der Rückschau jedoch als facettenreich und sorgfältig abgewogen erscheinen. Gustav Radbruch bezeichnete in einem Geburtstagsglückwunsch Stammlers Ideal als das einer »Gemeinschaft frei wollender Menschen«. Hieraus folgerte sicherlich dessen Engagement für rechtsstaatliche Zustände, die er als zivilisationsprägend ansah (»Die Bedeutung des Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches für den Fortschritt der Kultur«, 1900). Notwendigerweise lehnte Stammler naturrechtliche Grundsätze nicht völlig ab, drängte aber auf die Berücksichtigung sozialer Rahmenbedingungen und sich verändernder, gesellschaftlich bedingter, Inhalte. Die vorherrschende historisch-positivistische Methode der Rechtswissenschaft war für Stammler Anlass, über Verfahren der Rechtssetzung nachzudenken. Stammler reduzierte die Frage nach dem Sinn des Rechts, darin Kant folgend und marxistische Ideen ablehnend, auf die Suche nach Gerechtigkeit, nach dem »richtigen Recht«. Er ging von einem unbedingt gültigen Rechtsbegriff aus, relativierte diesen jedoch in der Präzisierung. Die Rechtssetzung betrachtete er als ein Verfahren des »geistigen Ordnens« im Ergebnis menschlichen Wollens. Im Recht sah der Herausgeber der Zeitschrift für Rechtsphilosophie (ab 1913) den »Zwangsversuch zum Richtigen«, aber letztlich eine Harmonisierung der »denkbaren Willensinhalte« (»Lehre vom richtigen Recht«, 1902, 2. Auflage 1926; »Rechts- und Staatstheorien der Neuzeit«, 1917, 2. Auflage 1925). Folgerichtig war für Stammler auch das Plädoyer für den wissenschaftlich-philosophischen Charakter des Rechts, da er in der Jurisprudenz zwar eine »Zweckwissenschaft«, nicht aber eine bloße Kulturtechnik oder verankerte Herrschaftsverhältnisse erblicken konnte. Stammlers weitgreifende Aussagen über Wollen und Gerechtigkeit, auch zum Verhältnis des Rechts zur Wirtschaft, waren Anlass zu grundlegenden Kontroversen in der politisch geprägten Wissenschaftslandschaft des Kaiserreichs. Zum einen wurde Stammlers, im damaligen Sinne »idealistischer« Ansatz, bedeutsam für die Ethik der sogenannten »Kathedersozialisten«. Zum anderen lieferte er Angriffspunkte, aus denen der Soziologe Max Weber, eine damals als »materialistisch« verstandene, weit ausholende, historisierende Gesellschaftsbescheibung entwickelte. Für Stammler war Weber jedoch nur, so zeigen Privatbriefe, ein »unfertiger Empirist durchschnittlichster Art«. In diesen privat gemeinten Schreiben, die Matthias Wenn in seiner Dissertation über Stammler edierte, erscheint Stammler als liberal-konservativer Philosoph, der den durch die Novemberrevolution 1918 geschaffenen Zuständen ablehnend gegenüber stand. Die »elende und niederträchtige Revolution« habe lediglich einen »Trümmerhaufen« geschaffen, meinte er. Vorrangig sei also jetzt – 1919 – die Sorge »zunächst weniger für das Soziale«, als für »das Recht«. Gegenüber den Trägern der »nationalsozialistischen Revolution« von 1933 wahrte Stammler keine solche Distanz, engagierte sich jedoch auch nicht explizit für das neue totalitäre Regime.

Organisationen: Mitglied des deutschen Freiheitsringes der NSDAP in Wernigerode; Mitglied des rechtsphilosophischen Ausschusses der vom NS-Justizminister gegründeten Akademie für deutsches Recht.

Quellen: BA R 4901/13277; Ziegenfuss/Jung, Band 2, S. 618; Gustav Radbruch, Rudolf Stammler zum 70. Geburtstag. In: Biographische Schriften, Gustab Radbruch, Gesamtausgabe, Band 16, Heidelberg 1988, S. 53 f.; Matthias Wenn, Juristische Erkenntniskritik – Zur Rechts- und Sozialphilosophie Rudolf Stammlers, Baden-Baden 2003.

Autor: HE

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