Hermann Voss
geboren: | 13. Oktober 1894 Berlin |
gestorben: | 19. Januar 1987 Hamburg |
Konfession: | ohne |
Vater: | Rittergutspächter |
Hermann Voss
Zunächst besuchte Voss die Dorfschule in Warnkenhagen und das Realgymnasium in Malchin (Mecklenburg), ab 1910 das Realgymnasium in Rostock (Reifeprüfung 1913). Zwischen 1913 und 1918 studierte er Medizin an den Universitäten München, Heidelberg und Rostock, unterbrochen durch eineinhalb Jahre Kriegsdienst als Feldunterarzt in norddeutschen Reservelazaretten sowie an der Westfront. 1919 promovierte Voss an der Universität Rostock mit einer Dissertation über die experimentelle Herstellung von parthogenetischen Froschlarven mittels einer Glasnadel aus unbefruchteten Keimzellen. Im selben Jahr wurde er zweiter Prosektor am Anatomischen Institut der Universität Rostock. 1923 habilitierte sich an der Universität Rostock für das Fach Anatomie. 1926 wechselte er als Erster Assistent an das Anatomische Institut der Universität Leipzig, und habilitierte sich nach Leipzig um. 1929 wurde er Zweiter Prosektor in Leipzig, 1930 erhielt er den Titel eines nichtbeamteten außerordentlichen Professors. Erst 1938 wurde Voss zum ersten Prosektor und beamteten außerordentlichen Professor ernannt, obwohl er sich mehrfach Hoffnungen auf einen Lehrstuhl machte, erfüllten sich diese nicht. Im September und Oktober 1939 leistete Voss erneut Kriegsdienst, er wurde als Unterarzt in das Reservelazarett Leipzig eingezogen. Obwohl er sich bereits mit seiner »ewigen« Position in der zweiten Reihe abgefunden hätte, nahm er 1941 den Ruf auf eine ordentliche Professur für Anatomie an der Reichsuniversität Posen an. Als Dekan baute er hier eine Medizinische Fakultät auf, die rückhaltlos Ausrottungsmaßnahmen gegen Juden und Polen unterstützte und in der Menschenversuche an der Tagesordnung waren. (Angehörige der Fakultät, die gegen diese Verbrechen opponierten, wie der Dozent Wolf von Drigalski, wurden ohne Zögern entlassen.) In einem, durchweg in larmoyantem Tonfall gehaltenen, Tagebuch gab Voss Eindrücke aus der Posener Zeit wieder. Nachdem er die Verbrennungsanlage im Keller seines Instituts der Gestapo zur Verfügung gestellt hatte, notierte er am 24. Mai 1941: »Die … erschossenen Polen werden hier nachts eingeliefert und verbrannt. Wenn man doch nur die ganze polnische Gesellschaft so veraschen könnte!« Voss und seine Mitarbeiter profitierten auch wissenschaftlich von der engen Zusammenarbeit mit der Gestapo: sie fertigten Präparate unmittelbar nach der Tötung polnischer Häftlinge an. Diese seien »so schön« gewesen, notierte Voss, »wie ich sie noch nie auf dem Präpariersaal gesehen habe.« Der schwungvolle Handel mit Skeletten und Schädeln entwickelte sich zum lukrativen Geschäft für das Institut. Das naturhistorische Museum in Wien zeigte noch in den 1990er Jahren Präparate, die Voss aus den Leichen ermordeter Juden hatte herstellen lassen. (Nach Bekanntwerden der Herkunft wurden die Leichenteile der jüdischen Gemeinde übergeben und bestattet.)
Vor den anrückenden sowjetischen Truppen im Januar 1945 geflohen, fand Voss Unterschlupf im sächsischen Borna. Hier war er seit April 1945 Volontärarzt am Stadtkrankenhaus. Im März 1946 zwang ihn der Bürgermeister der Stadt, diese Arbeitsstelle aufzugeben. Er selbst empfand diese Kündigung als »Missachtung« seines guten Willens, sich »als praktischer Arzt am Aufbau zu beteiligen«. Eine Marktlücke ausnutzend, verfasste Voss hier ein Taschenbuch der Anatomie, das als »Voss/Herrlinger« 17 Auflagen erlebte und ins spanische und polnische übersetzt wurde (13. von Voss selbst bearbeitete Auflage 1971, Teile werden noch heute nachgedruckt.) In Halle bewarb sich Voss 1946. Er wies auf seine bedrängte Situation hin und betonte, dass er dem Nationalsozialismus stets ablehnend gegenüber gestanden hätte. Die Medizinische Fakultät stellte ihn 1948 als Professor mit Lehrauftrag und Ersten Prosektor an, obwohl sein Tagebuch im Prozess gegen den Gauleiter Wartheland, Artur Greiser, als Material der Anklage diente und die Presse darüber berichtete. 1952 erhielt Voss einen Ruf auf den Lehrstuhl für Anatomie an der Universität Jena, wo er das Anatomische Institut bis zur Emeritierung 1962 leitete. Danach arbeitete er am Anatomischen Institut der Universität Greifswald. Voss, der 1954 einen »Embryologischen Atlas« und mehrere Auflagen seiner »Pathologisch-anatomischen Präparierübungen« publizierte (1. Auflage 1940, 10. Auflage 1964, wurde von der Regierung der DDR mit dem Titel »Hervorragender Wissenschaftler des Volkes« geehrt. In Westeuropa leitete er mehrfach Kongresse, außerdem war er Herausgeber der wichtigen Zeitschriften »Anatomischer Anzeiger« und »Acta histochemica«.
Organisationen: NSV, NS-Dozentenbund, Opferring der NSDAP, 1937 Eintritt in die NSDAP; 1947 CDU
Bemerkung: Die Echtheit des Posener Tagebuches wird auf Grund neuerer Forschungen angezweifelt. Publiziert wurden die möglicherweise notwendigen Korrekturen an dem angeblich verfälschten Dokument bisher nicht.
Quellen: UAHW, Rep. 29, Nr. 531; UAHW, Rep. 11, PA 27995 (Voss); Klee, Personenlexikon, S. 646; Götz Aly, Das Posener Tagebuch des Anatomen Hermann Voss, In: Aly u. a., Biedermann und Schreibtischtäter – Materialien zur deutschen Täterbiographie, Berlin (West) 1989, S. 16–66.
Autor: HE